Bürgermeister unplugged & unpolitisch

von | 21, 12, 20 | ALLGEMEIN

Thomas Kerkhoff, Stadt Bocholt

Unser zweites Bürgermeister-Interview in dieser noch jungen PLATZHIRSCH-Ära. Nach Christian Vedder aus Südlohn wäre es quotentechnisch an der Zeit für eine Bürgermeisterin gewesen – wenn nicht diese Ausgabe eh schon mit so vielen Ladies aufgehübscht worden wäre.

 

Also … die Homebase des PLATZHIRSCH ist Bocholt. Von hier aus starten wir die Streifzüge in die Region und darüber hinaus. Was liegt näher, als mit dem Menschen fortzufahren, der seit dem 13. September 2020 der Bürgermeister unserer Heimatstadt ist? Es wäre unredlich, zu verschweigen, dass Kirsten seine Kandidatur mit ihre Nikon begleitet hatte. Ein Umstand, den wir als Herausgeber lange diskutiert haben. Gefährden wir mit der Annahme eines solchen Foto-Jobs unsere selbst auferlegte Souveränität? Unsere Einstellung: Nein. Wir sind keiner Partei, keiner Farbe verbunden. Für uns steht der Mensch im Fokus. Vor diesem Hintergrund gab es die Einladung an Thomas Kerkhoff zu diesem unpolitischen Interview. Das Setting lässt erahnen, dass es hier menscheln sollte. Wir wollten wissen und mit euch teilen, wie er so tickt – außerhalb des politischen Parketts. 

Der corona-bedingt distanzierten Begrüßung mit Mund- und Nasenschutz in unserer Private-Kitchen-Suite folgte das Commitment auf die Einhaltung eines ausreichenden Abstands, das Ablegen der Masken und das unplugged-Du, wie ihr es von diesem Magazin gewohnt seid. 

Geplant war, dass wir gemeinsam am Herd stehen und brutscheln, vor, während, nach dem Interview-Part. Das vertagen wir, der Abstand wäre zu kurz. 

Stattdessen nehmen wir an unserem Doppel-Schreibpult Platz. Zwei Sorten Leberwurst, dunkles Hausbrot und in Süßwein geschmorte Schalotten zwischen uns. Ohne Mampf kein Interview. Weiß- oder Rotwein? Oder besser gar keinen Wein? Wer mag uns das angesichts der Uhrzeit, dem knisternden Kamin im Hintergrund, dem Schein der Kerzen wirklich abnehmen? So schnell die Frage aufkam, so rasch wurde sie mit dem Hinweis auf „glaubwürdiges Magazin“ ad acta gelegt – ebenso wie die Krawatte.

Thomas, deine gegenwärtige Geistesverfassung?

Die ist freudig und angespannt. Ich freue mich, weil es so viel Neues gibt. 

Angespannt, weil es echt viel ist – insbesondere vor dem Hintergrund, dass der kleine Tom seit vier Monaten Rebekka und mich bereichert. 
Wein oder Bier?

Sowohl als auch, da fällt mir die Entscheidung schwer. 

Früher Vogel oder Nachteule?

Früher war ich eher der frühe Vogel. Seit meiner Zeit als Anwalt immer öfter die Nachteule – da hat man nach hinten mehr Zeit.

Sternzeichen?

Skorpion.

Kennst du deinen Aszendenten?

Nein. 

Buch oder Hörbuch?

Hörbuch. Wer beruflich viel liest, bekommt auch gerne mal was auf die Ohren. 

Internet oder Laden?

Sowohl als auch. Ich schätze die persönliche, die gute Beratung vor Ort – und dann kaufe ich da herzlich gerne. Aber wenn ich es vor Ort nicht bekommen kann oder es extrem schnell gehen muss und ich wenig Zeit habe, dann auch mal per Mausklick. 

Lieblingsfarbe?

Blau. 

Mac oder Windows?

Windows. Mac habe ich nie verstanden.

Richtiges Handy oder Surrogat?

Verstehe ich nicht. 

iPhone oder etwas anderes?

Okay. Da wiederum bin ich Apple-addicted. 

Facebook oder Instagram?

Facebook, wenn es nicht nur um Bilder, sondern auch um Texte, um Diskussionen geht. Instagram für die schönen Seiten des Lebens. 

Barfuß oder Lackschuh?

Die Harald-Juhnke-Frage. Wenn ich mich entscheiden muss, lieber barfuß. Obwohl … ich habe mir in der Tat mal einen Smoking gekauft – ein komisches Kleidungsstück. Aber irgendwie passen die Lackschuhe besser dazu. 

Tanzbär oder Tresen-Klammeräffchen?

In meiner Jugend eher Tresen-Klammeräffchen. Wenn die Party gut ist, findet man mich mittlerweile auch auf der Tanzfläche. 

Bist du ein ängstlicher Mensch?

Nee, ängstlich nicht … aber ich habe eine gute Portion Sicherheitsbewusstsein.

Ich nenne dir jetzt drei Namen. Sag mir bitte, was dir spontan dazu einfällt. 
Donald Trump?

Geschichte.

Angela Merkel?

Werden wir wahrscheinlich vermissen, wenn sie nächstes Jahr Geschichte ist.

Markus Lanz?

Er hatte, glaube ich, viel unter dem Wetten-Dass-Debakel zu leiden. Aber ich finde ihn als Interviewer besser, als viele meinen.

Welches Baujahr bist du?

1981 – Premium-Jahrgang. 

Davon gehe ich aus. Ich werde das weinmäßig noch testen. Oder bist du da schon weiter? Hast du den Jahrgang mal flüssig getestet?

Nein, noch nicht. 

Wo du „Premium“ ansprichst: Was war denn neben deiner Geburt „Premium“ im Jahr 1981?

Naja, Helmut Kohl ist ja ’82 Kanzler geworden. Aber vielleicht war da 1981 schon der Bruch der sozialliberalen Koalition zu spüren. 

Was ist an dem Begriff „unpolitisches Interview“ so schwer zu verstehen?

Sorry, aber es könnte vorkommen, dass ich des Öfteren ausschere – vielleicht, weil ich ein wenig politik-süchtig bin. 

Okay. Gab es Jugendsünden bei dem pubertierenden Thomas Kerkhoff?

Nee, da war ich – glaub ich – pflegeleicht. Keine lilafarbene Haare oder so. 

Und damit nicht das berühmte Aufatmen und Sektkorken-Knallen-Lassen der Eltern bei deinem Auszug? 

Es gab das Aufatmen meiner Eltern, als ich die Beamten-Ausbildung bei der Stadt Bocholt angefangen habe. Und einen großen Schrecken meiner Mutter, als ich ihr gesagt habe, dass ich freiwillig dieses Beamtenverhältnis beende, um Anwalt zu werden. 

Stichwort Elternhaus. Was hast du von dort mitgenommen?

Ein ganzes Paket – alles, was mich ausmacht. Insbesondere, nahezu alles für seine Kinder zu tun. Dass sie lernen, für sich selber gut sorgen zu können. Das haben meine Eltern bei meiner Schwester und mir unglaublich gut geschafft. Vielleicht auch, weil meine Eltern selbstständig waren. Trotz der Tatsache, dass ich heute wieder Beamter bin, hab ich mir das Denken erhalten, dass Geld verdient werden muss.

Schwenken wir in den Bereich Genuss. Eine meiner Lieblingsfragen … gehörst du zu den Menschen, weswegen wir in die Pflegeversicherung einzahlen, oder kannst du kochen?

Ich behaupte, einigermaßen kochen zu können, wobei das auf keiner Ausbildung oder ähnliches fußt. Ich bin da eher ein bisschen im Freestyle unterwegs.  Am besten finde ich es, wenn man mit dem, was man im Kühlschrank hat, irgendwas hinkriegt, sodass alle satt werden. Als du Pflegeversicherung erwähnt hast, habe ich angenommen, dass es in Richtung Politik gehen soll. Also, für mich muss – glaub ich – keiner kochen, solange ich meine Arme bewegen kann.

Gab es ein Gericht in deiner Kindheit, wo du heute noch gerne dran zurückdenkst?

Sauerbraten mit Knödel mochte ich in der Kindheit total gerne – ich fand das eine Rakete. Wenn der Topf mit dem marinierten Fleisch in unserem Keller stand, setzte meine Vorfreude schon ein. 

Okay, das war zum Thema Huldigung. Schwenk mal in Richtung Traumata … gab es da etwas, was bleibende Schäden verursacht hat? 

Dadurch, dass wir nie zu etwas gezwungen wurden, gibt es keine Nachwehen. Ich finde es immer noch faszinierend, dass ich, bis ich Jugendlicher war, weder Ananas noch Pilze gegessen habe. Ananas liebe ich mittlerweile und auch Pilze – wahrscheinlich bin ich in diesem Bereich etwas später gereift.

Hast du Wurzeln im Osten der Republik? 

Ich weiß, was du meinst. Obwohl Bananen einen Stammplatz in unserem Kühlschrank haben: Wir kommen von weiter westwärts – aus dem Münsterland. 

Deine schrulligste Macke beim Essen? Z.B. Spaghetti mit Senf oder sonstige Abgründe … Gibt’s da was Perverses?

Da gibt´s spontan nix, was mir dazu einfällt. 

Bei uns gibt es Zutaten, da werden wir nervös, wenn die sich zu Ende neigen. Zum Beispiel getrocknete Morcheln, ein gutes Stück Parmesan, tiefgefrorene Steinpilze, etc. Gibt es solche Zutaten bei dir? 

Ja, da klingt jetzt unfassbar unspannend: Aber Zwiebeln und ein gutes Brot im Haus beruhigen mich ungemein. Und Butter. Wie soll man etwas ohne Butter kochen?

Mal unbescheiden: Wofür hättest du einen Stern verdient? Welches Gericht macht dir so schnell keiner nach? 

Hmmm … bis vor kurzem hatte ich eine hohe Hemmschwelle, ein gutes Stück Fleisch, das man sonst als Steak braten würde, zu zerschneiden. Mit der nötigen Ruhe habe ich daraus ein Weltklasse-Tatar gemacht – wie ich finde. Und wenn du mich aufforderst, unbescheiden zu sein … ich glaube, das hätten die im Mussumer Krug auch nicht besser hinbekommen. 

Du traust dich was. Ich überlege, ob ich diese Passage bewusst überhöre. 

Warum?

Vergiss es. Das Mikro ist an. Und wenn du es nicht hättest sagen wollen, hättest du es ja nicht gesagt. 

Ich wollte das in dem Kontext mit dem Stern verstanden wissen. Ich finde, die machen dort einen tollen Job und richtig leckeres Essen. Das kam mir in den Sinn, als mich der Stolz von meinem Tatar erfüllte. 

Notiz an mich selbst: Unbedingt Lars Kathage (Chef vom Mussumer Krug) auf diese Passage aufmerksam machen. Da liegt ein Tatar-
Contest mit dem neuen Bürgermeister in der Luft … „Grill den Kathage“ – wenn der ganze Spuk mit dem C-Wort vorbei ist. In einem Anflug von Selbstaufopferung würden Kirsten und ich uns als Juroren zur Verfügung stellen. 

Wenn ich jetzt mit dir als Amtsperson Thomas Kerkhoff sprechen würde, würde ich die Frage nicht stellen … aber wir sind ja vollkommen privat unterwegs. Hast du den ultimativen Restaurant-Tipp für uns in dieser Region?

Wo muss man hier in Bocholt hin …?

Ich mag es, Menschen beim Denken zuzusehen …

Ich muss in der Tat noch einmal den Mussumer Krug nennen. Wir waren sehr aktiv im Straßenwahlkampf. Seinerzeit sind wir unvermittelt dort eingekehrt – mitten in einem Wohngebiet, so eine klassische Kneipe an der Ecke, wo man gute Hausmannskost erwartet. Das Essen dort fand ich richtig klasse. Wenn ich den Zirkel etwas weiter ziehen darf … das Restaurant „Freiberger“ in Coesfeld, das finde ich ebenfalls unfassbar gut. Ich bin dort öfter zum Essen, aufgrund eines Clubs, dem ich angehöre. 

Du weißt, dass jetzt die Frage nach dem Club kommt …

Ich bin ein Rotarier. Wir haben das große Glück, dort unserer Stammlokal zu haben. Das ist echt lecker dort. 

 Ohne die Frage zu stellen, was denn die langweiligste Sitzung oder Veranstaltung in deinem beruflichen Kontext sein könnte … aber stell dir vor, du kommst genau von jener abends nach Hause. Gibt’s solche Hollywood-vertrauten Szenen im Haus Kerkhoff, wo der erste Weg zum Regal mit dem Cognac führt?

Cognac? Das klingt so ein bisschen, als wenn gerade die 80-er anrufen. Wobei es da sehr gute gibt, keine Frage. 

 Zum ersten Mal spüre ich den Generationsunterschied in diesem Gespräch – Jungspund! 

 Aber um deine Frage zu beantworten: Es darf dann schon mal ein Glas Wein sein, um Abstand zu gewinnen. Wenn ich zum Beispiel eine 5-stündige, intensive Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses leite, dann bin ich voll fokussiert. Dann brauche ich schon mal eine Stunde, um wieder runterzufahren. Das mache ich gerne mit einem Rotwein, nichts Hochprozentiges. Das ist für mich Genuss. Und dazu habe ich mir eine Grundregel auferlegt: nie aus Kummer oder aus Sorge.

Bleiben wir in dem Szenario, welche Musik würde dazu passen? 

Jazz.

 In welcher Stilrichtung? 

 Mir gefällt das ruhige Saxophon zwischen Klavier und dem streichelnd gespielten Schlagzeug. Nicht so ganz schrille Töne nach links und rechts – also kein Acid Jazz zum Beispiel. Ich wähle dann auf Spotify irgendwelche Listen wie Midtown-Jazz aus und lasse mich von Klassikern und gerne auch eher unbekannten Stücken überraschen. 

Wenn du uns nur ein Musikstück vorspielen könnest, was dich immer noch umhaut: Welches hören wir dann?

„Music“ von John Miles. Das finde ich immer noch einen Kracher. Ich finde, das Lied hat einfach alles in seinen sechs Minuten. 

Schwenken wir zur Literatur. Dein aktuelles Hörbuch ist …?

Momentan höre ich gerne Podcasts. Zum Beispiel „Sprechen wir über Mord!?“ mit dem Bundesrichter a.D. …

… Dr. Thomas Fischer …

Genau. Wobei ich finde, dass er die beiden Journalisten ganz schön abtropfen lässt.

Wir haben den vor ein paar Jahren in Hamburg live erlebt. Unser Eindruck: entweder extrem schlechter Tag oder sehr launiger Geselle. 

Er galt ja am Bundesgericht schon nicht als einfach … Ich glaube, wenn der keinen Bock hat, dann kriegt man das auch zu spüren. 

Gibt es Filme, die dich berührt haben? Filme, die du immer wieder schauen kannst? 

Ich kann mir irgendwie immer wieder Forrest Gump angucken – den finde ich Weltklasse. Vor kurzem lief auch wieder „Eine Frage der Ehre“ im Fernsehen …

… mit Jack Nicholson und Tom Cruise …

… genau … mit der fesselnden Stelle: „Haben Sie den Code Red befohlen?“ Mega spannend, das holt mich natürlich aus meiner Zeit ab, wo ich Jura studiert habe. Auch Polit-Thriller finde ich toll. Unlängst lief auf Kabel Eins „Outbreak“ – ganz schön bedrückend, in der jetzigen Zeit. Wichtig ist mir, dass mich die Story packt. Ich finde, wir werden da aktuell nicht sehr verwöhnt. Wenn es noch etwas schmalziger sein darf: Robin Hood. Den gibt es natürlich nur mit dem einzig Wahren, sprich: Kevin Costner. Wenn wir über Humor reden: „Und täglich grüßt das Murmeltier“ finde ich immer wieder köstlich. 

Du hast deine Familie angesprochen … Tom mit seinen vier Monaten und deine Frau Rebekka. Steht eure Partnerschaft unter dem Leitspruch „Gleich und gleich gesellt sich gern“? Oder …? 

Nee, nee, das überhaupt nicht. Rebekka ist, wenn man so will, eine Schulliebe. Zunächst fanden wir uns eigentlich gar nicht so gut, das hat sich irgendwann stark geändert – sehr zur Verwunderung des Klassenverbandes. 

 Frag´ ich nach, oder frag´ ich nicht nach? Wollen wir wissen, ob es ein Ausflug in ein Landschulheim war oder eine Lern-AG, die diese „Liebe aus den zweiten Blick“ forcierte? Ich höre einfach zu, vielleicht kommt die Begründung ja aus eigenem Antrieb. 

Rebekka und ich sind sehr unterschiedlich. Aber irgendwie verschafft das jedem von uns auch ein Stück weit Freiheit in unserer Partnerschaft. Wir sind da eher im Sinne von Yin und Yang unterwegs. Wir mögen unsere Unterschiedlichkeit, auch wenn das Spannungen impliziert. 

Wo würden dich die Leserinnen und Leser antreffen, wenn du von dir behauptest, an deinem absoluten Lieblingsplatz zu sein? 

Jetzt das Rathaus zu nennen, wäre nicht so kreativ, oder? 

Stimmt. Das wäre eine Antwort im Sinne einer gewissen Erwartungsqualität. Möglicherweise ehrlich, aber schon ein wenig geleckt. 

Ich arbeite schon gerne … das ist einfach so. Lass es mich so umschreiben: Meine Lieblingsplätze kann ich nicht räumlich beschreiben. Es sind die Orte, wo ich mit Menschen zusammen bin, die mir wichtig sind. 

Welche Stadt würdest du immer wieder besuchen und warum?

Boston. Ich habe mich irgendwann in diese Stadt verliebt. Ich finde sie unheimlich schön, mit einem studentischen Flair … ich bin ein großer Amerika-Fan. 

Wenn dieser ganze Spuk mit dem „C“ am Anfang mal vorbei ist … wir wieder ungezwungener reisen können … und wir uns an der Sicherheitskontrolle eines deutschen Flughafens treffen: Welches Ticket hättest du in der Hand?

Wahrscheinlich eins mit dem Ziel USA. Ich weiß, dass dieses Land in den letzten Jahren an Haltung und Achtung verloren hat. Aber ich hätte wirklich Lust auf einen Trip durch die Staaten. 

Letztes Jahr war der 500. Geburtstag von Leonardo da Vinci – der als Universalgenie gilt. Was zeichnet das Universalgenie Thomas Kerkhoff aus? Gibt‘s mehrere Talente, die du auf dich vereinigen kannst?

Was soll ich dazu selber sagen? 

Am besten die Wahrheit.

Bislang habe ich das immer so gesehen … ich halte mich für einen Generalisten. Ich glaube, dass ich in vielen Bereichen gut klarkomme. Damit meine ich mein Amt als Bürgermeister, meine Leidenschaft zu kochen, aber auch das Handwerkliche. Die letzten beiden Dinge habe ich nicht gelernt, ich mache sie aber unheimlich gerne. Zudem habe ich ein gutes technisches Verständnis. Also, ich bin extrem weit davon entfernt, mich als Genie zu bezeichnen. Ich weiß aber, dass ich mich in den geschildertem Bereichen sicher bewegen kann, ohne unterzugehen. 

Wir stellen im PLATZHIRSCH gerne Links zwischen den einzelnen Stories her. Es gibt in dieser Ausgabe eine Geschichte zum Thema Multigrafien. Dem Bewusstsein, dass man mit mehreren Talenten gesegnet ist und diese auch auslebt. Wir mögen den Austausch mit solchen Menschen. Das war der Hintergrund der letzten Frage.

Eines meiner größten Probleme – das merke ich auch im Job – ist, dass mich zu Vieles interessiert. Ich finde viele Dinge extrem spannend und stecke dann in dem Dilemma, dass mir die Zeit fehlt, denen nachzugehen. Denn um irgendetwas richtig gut zu beherrschen, braucht man Zeit. Es gibt, glaube ich, nichts, oder sagen wir: fast nichts, wo man automatisch gut ist. Wenn  doch, dann ist es das eine wirklich hohe Gabe. Aber ich kenne eigentlich nur Leute, die in dem, was sie machen, so gut sind, weil sie es sehr intensiv betreiben.

Gibt‘s ein Lebensmotto oder ein Zitat, was dich trägt und was du gerne teilen würdest?

Mein Medium ist Sprache, sowohl jetzt als Bürgermeister als auch früher als Anwalt. Ich lasse mich leiten von einem Zitat aus dem Lateinischen:

Fortiter in re,
suaviter in modo.

Hart in der Sache,
aber verbindlich im Ton.

Ich mag es, durchaus hart über Themen zu sprechen – aber gerne in einer guten Atmosphäre, wo man fair miteinander umgeht. Egal, wie angespannt die Situation ist. Wenn man seinem Gegenüber klar macht, dass es es nicht persönlich gemeint ist. Es sei denn, es IST persönlich gemeint – dann sollte das auch klar benannt werden. Diese Haltung versuche ich in vielen Situationen zu beherzigen. Und in meiner Funktion gibt es viele solcher Situationen.

Welche Charaktereigenschaften schätzt du bei anderen?

Loyalität und Fairness finde ich unheimlich wichtig. Humor finde ich auch extrem gut – insbesondere, wenn man als Neuer zu Gruppen dazustößt und man merkt, dass auch gelacht werden darf. 

Deine persönliche Achillesferse? Wer oder was kann dir so richtig auf die Nerven gehen?

Wer kann mir so richtig auf die Nerven gehen …? 

Wir erwarten jetzt keine Dorfmanns-Liste von 1-10. Es können auch einzelne Verhaltensweisen sein. 

Okay, aber … ich muss leider schon wieder politisch werden … Die Oberflächlichkeit eines Robert Habeck bei einigen harten Themen, die geht mir schon sehr gegen den Strich. Und, um das nicht parteipolitisch umzumünzen … seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock finde ich dafür umso besser. 

Eine weitere, klare Aussage, die sich mancher Politiker verkniffen hätte. Das mit dem verbindlichen Ton scheint wirklich Haltung und nicht Floskel zu sein. 

Welche Facette von dir würdest du niemals preisgeben, außer in so einem intimen Moment wie jetzt?

Ich finde es wichtig, eine klare Linie zu haben. Und auch das Bewusstsein, ob man diese Linie überschreiten will. Diese Bereitschaft ist gerade nicht da. 

… das spüre ich. Trotzdem finde ich die Frage spannend. 

Deine schrulligste Macke ist?

Ich bin mir völlig bewusst, dass ich welche habe. Ich halte sie aber nicht für so außergewöhnlich. Deswegen tue ich mich schwer mit dem Superlativ. Zielführender wäre es, Rebekka zu fragen. Die könnte möglicherweise mehr Licht ins Dunkel bringen. 

Wenn ich gerade auf meinen beruflichen Kontext schaue, dann muss ich bilanzieren, dass ich sehr oft unpünktlich bin. Das ärgert mich total, da ich selbst sehr viel Wert auf Pünktlichkeit lege. Das hat mit meinem geschilderten Interessiert-sein zu tun. Wenn ich mich in einem guten Gespräch befinde, sehe ich bisweilen innerlich die Uhr laufen. Wissend, dass ich mich zum nächsten Termin wieder verspäten werde.

Deine besagten „100 Tage“ sind noch nicht um … 

Ich weiß. Aber ich habe den Job ja schon fünf Jahre in Gescher gemacht. 

Okay, resümieren wir, dass es im Bereich Zeitmanagement noch Luft nach oben gibt – aber aus einer guten Absicht heraus. 

Ja. 

Gibt es Menschen, zu denen du gerne hinaufschaust. Idole?

Ja, klar. Heute morgen haben ich den Podcast von Gabor Steinhart gehört. Da hat jemand nicht sehr wohlwollend über Helmut Kohl gesprochen. Das bereitet mir ein Unwohlsein, weil ich den sehr gemocht habe. Es gab, bis ich erwachsen wurde, keinen anderen Kanzler als Helmut Kohl. Oder als innerparteilicher Counterpart … ich fand Richard von Weizsäcker super. 

In meiner beruflichen Situation hatte ich großes Glück mit meinen jeweiligen Chefs. Ich durfte von denen viel lernen, sowohl beruflich als auch privat. Ich konnte mir quasi einen Baukasten zusammenstellen und sagen, genau so möchte ich das machen. Wenn ich diese Menschen in ihren Familien erleben durfte, mir ihre Lebensleistung angeschaut habe, dann hat mir das großen Respekt abgerungen und mich geprägt. 

Begeben wir uns ins Utopische … wenn wir die Gelegenheit hätten, dich mit einer faszinierenden, wie auch immer gearteten Persönlichkeit zu matchen – wen würden wir zum Gespräch mit dir bitten?

 Schon wieder dieses Sich-Begrenzen. Warum muss ich mich begrenzen? Vielleicht auch einen Macke von mir, dass ich mich ungern begrenzen möchte … Ich kann dir da wahrscheinlich keine zufriedenstellende, geschlossene Antwort geben. 

Dann wink´ die Frage einfach weiter … 

Eine Stimme aus dem Off ertönt. Kirsten fände eine konkrete Antwort sehr spannend. Thomas kehrt noch mal in sich … 

Also, ich würde gerne Gerhard Schröder treffen. Was habe ich den früher gehasst, als ich eine Heißdüse in der Jungen Union war. Aber wenn ich mir heute Angela Merkel anschaue, dann wirkt manches so unfassbar nüchtern, so Teflon-mäßig, wo alles abzuperlen scheint. Wenn ich mich zwischen den beiden entscheiden müsste, würde ich lieber in einem solch illustren Setting wie heute auf Gerhard Schröder treffen, auch wenn das nicht meine Parteifarbe ist. 

Was würdest du für ihn kochen, wenn es eine solche illustre Runde ist? 

Ich glaube, dass wir da gar nicht viel kochen müssen, Hauptsache, wir essen gut. Ich glaube auch, das ich mit dem Brioni-Kanzler mit einer Flasche Bier und einer Bratwurst klarkommen würde. 

Thomas spielt auf den unvergessenen Auftritt Schröders während einer Autogrammstunde am Rand einer SPD-Veranstaltung im Jahre 2000 an: „Hömma, hol mir ma´ `ne Flasche Bier, sonst streik’ ich hier und schreibe nicht weiter.“

Also … wir sind gespannt, ob eine ähnlich markig-launige Symbolik von dir irgendwann die Gazetten der Region bereichert. Warst du eigentlich schon einmal auf dem Sommerfest des Bundespräsidenten?

Ja, da hatte ich das Glück, dafür vorgeschlagen worden zu sein. Ob ich das damals mehr verdient hatte als andere Ehrenamtler? Wahrscheinlich nicht wirklich.  

Es war trotzdem toll, an dem Tisch von
Joachim Gauck sitzen zu dürfen. 

Wenn du nochmal eingeladen würdest. Wer dürfte auf keinen Fall an deinem Tisch sitzen – außer Robert Habeck?

Wen ich nicht bräuchte, wäre ein Alexander Höcke.

Du solltest dich schon mit den politischen Gegner auseinandersetzen. Björn Höcke oder Alexander Gauland. 

Alle beide. Letzte Woche habe ich den Höcke in einem Interview bei deren Bundesparteitag gesehen. Der hatte einen Cut auf der Nase, so als wenn ihm jemand einen Haken verpasst hat. Ich habe sofort „Höcke“ und „Nase gebrochen“ gegoogelt. Ich wollte wissen, wer’s gemacht hat.

Wenn du irgendeinem Menschen einen Orden verleihen könntest, wer würde den kriegen und warum?

Da gibt´s unfassbar viele, die einen verdient hätten. Aber in unserer jetzigen Situation … wo ich einfach viel zu wenig Zeit habe, um mich selber zu kümmern,  in der Art und Weise, wie ich es mir wünsche und vorgenommen habe … da würde ich sagen: meiner Frau. Weil Rebekka das mit unserem Sohn gerade Weltklasse macht.

Wenn du jetzt zwischendurch den einfachen Satz ergänzt: Das Beste an Bocholt ist …

Das wäre anmaßend, wenn ich das nach so kurzer Zeit schon beurteilen könnte. Was mir aber aufgefallen ist, ist die Liebe der Bocholter zu ihrer Stadt.

Wo siehst auch aufgrund der noch jungen Erfahrungen „Luft nach oben“?

Bei aller Bescheidenheit traue ich mich zu sagen, dass die Stadt ihr Potenzial bisher nicht ausschöpft. 

Wenn du die Menschen beraten würdest, die für das Marketing dieser Stadt, für diese Region zuständig wären, was würdest du denen sagen?

 Ich hatte das Glück, über den Münsterland e.V. am Marketing-Prozess für diese Region mitwirken zu dürfen. Wir haben uns dort von Fachleuten sagen lassen, dass man uns das Selbstbewusstsein, was wir hier als Region haben dürften, quasi einimpfen muss. Wir sind da bislang viel zu defensiv unterwegs, obwohl wir bundesweit zu den Top of the Pops gehören. Da müssen wir besser und stärker werden, unsere Botschaften noch mehr verdichten. Die Menschen, die hier leben, fühlen sich überwiegend wohl. Wichtig ist, dass die Menschen außerhalb der Region erfahren, wie cool es ist, hier zu leben. 

Lieblingsuhr?

Ich habe mir von einem Berater von deren Bedeutung erzählen lassen. Ich persönlich brauche das nicht. Ich habe eine Apple-Watch, weil ich die praktisch fand. Wobei ich merke, dass ich deren Potenzial nicht vollständig nutze.

Mit welchem Geschenk kann man dir wirklich eine Freude machen?

Mit den Dingen, die Genuss ausmachen. Mit einem guten Wein, einer schönen Spirituose, einer guten Zigarre, einem Gutschein für die Sauna.

Du kennst solche Veranstaltungen wie Arbeit 4.0, Digitalisierung 4.0, etc. Was darf man sich unter dem Bürgermeister Thomas Kerkhoff 4.0 vorstellen? Magst du solche Superlative im Sinne von höher, schneller, weiter?

Ich kenne das aus der Beratung. Das sind für mich keine Superlative, sondern
Buzzwords, die man gelegentlich spielen muss. Für mich ist wichtig: Was will ich mit „4.0“ aussagen? Was? Was steckt dahinter? Welchen Mehrwert macht man daran fest? Corona hat uns dazu gezwungen, uns mit mobilem Arbeiten zu befassen – auch bei der Stadt Bocholt gibt es ein Projekt dazu. Ich denke viel darüber nach, ob wir das machen, weil es ein Trend ist oder ein Bedürfnis, das an Relevanz gewonnen hat. Was ist wirklich wichtig? Wie verändert es unsere Kultur?

Arbeit ist auch Teilhabe, sozialer Kontakt. Corona lehrt uns gerade, dass man sich nicht treffen soll. Müssen wir immer digitaler werden, uns in Richtung 4.0, etc. verändern? Oder werden wir uns bewusst, wie gut es ist, Kollegen, ein stabiles Netzwerk zu haben, wo man auch physisch zusammenkommt. Können wir das kombinieren? Was ist das richtige Maß? Das sind die Gedanken, die mich umtreiben. 

Wie darf man sich deine Fehlerkultur vorstellen? Eher Kaffeebohnen-Schlitz-Schnitzer oder Anhänger der Generalabsolution?

Ich persönlich mache ungern Fehler. Ich habe aber in den Jahren als Führungskraft einen gelasseneren Umgang mit Fehlern entwickelt. Wir müssen tagtäglich Entscheidungen treffen. Wenn wir zehn Entscheidungen treffen … sieben waren gut und drei waren falsch. Ist das dann eher positiv als negativ?

Welcher Kontakt steht nicht in deinem Handy, obwohl du gerne dessen persönliche Erreichbarkeit hättest? 

Weiß ich gerade nicht. Weiter. 

Hast du die Telefonnummer von Angela Merkel?

Nein. Wozu sollte ich die haben? 

Wir erzählen dir später beim Hauptgang eine schöne Geschichte dazu …

Ich bin gespannt. 

Wir nähern uns dem Ende. Ziert ein bestimmtes Gerät aus dem Hause Vorwerk euren Haushalt?

Ja.

Oh Gott, hätte ich die Frage mal nicht gestellt …

Du hast mich gar nicht gefragt, welchen Staubsauger von Vorwerk wir haben. 

Ich blicke in ein Treffer-Versenkt-Lächeln, was sein ganzes Gesicht erfasst. Mein Gegenüber scheint sichtlich Spaß zu haben an meiner Allergie gegen den Foodhäxler, der seit Jahren in aller Munde ist. 

Wir haben auch diesen Teil mit dem „T“ am Anfang und dem „x“ am Ende. Nach der Geburt von Tom habe ich die Chance genutzt, ein solches Teil zu kaufen.

Du bist rehabilitiert, Babybrei würde ich da auch drin zubereiten. 

Ja, und Soßen soll er schon gut können. Ehrlicherweise auch andere Dinge. Auch da gilt für mich, von den Besten zu lernen. Der ist ja auch Bestandteil jeder Sterneküche.

… und die Erde ist eine Scheibe. Ich bin gespannt, ob das Teil auch beim möglichen Tatar-Contest mit dem Mussumer Krug zum Einsatz kommt.

Nespresso-Fetischist oder Kaffeetrinker mit Anstand?

Jetzt werden richtig dunkle Seiten offenbart. Ich trinke echt total gerne Filterkaffee. 

Wo ist da die dunkle Seite?

Ja, weil ich immer häufiger höre: „Wir haben einen Vollautomaten.“

Wie wesentlich ist für dich der Faktor Vertrauen – auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10 „hoch“ ist?

Elf.

Ziert ein VW euren Fuhrpark? 

Nein. Vor kurzem hat unser Zweitwagen den Geist aufgegeben. Da musste Ersatz her. Rebekka wollte gerne einen VW haben – aber ich habe sie überreden können. 

Du hast vorhin einen Film mit Jack Nicholson erwähnt. Kennst du seine Rolle in „Das Beste kommt zum Schluss“? 

Klar.

Was steht auf deiner Bucketlist? 

Auch wenn es Klischee-behaftet sein könnte … ich hätte schon Lust, mich irgendwann aus einem Flugzeug zu stürzen, um den „freien Fall“ zu erleben. Sicherlich noch mehr Reisen und die Perspektive, viel bei unserem Sohn zu sein, ihn zu begleiten. Das sind zwar keine Once-in-a-lifetime-Momente, aber das ist mir momentan sehr wichtig. 

Die letzte Frage. Welche Frage hättest du unheimlich gern beantwortet … wenn ich sie dir gestellt hätte?

Ich wusste nicht so richtig, was mich erwartet. Deswegen gab es keine Vorbereitung und somit auch keine Frage, die ich vermisst habe. Es war aber nicht so schlimm, wie ich dachte.

Schönes Schlusswort. Danke für deine Zeit und die unplugged-Einblicke in dein Leben. Ich finde, wir haben uns jetzt einen Teller Pasta verdient. (rb)

Pasta Del Sinaco Bürgermeisters Nudeln

Nach unplugged-Interview folgte unplugged-Pasta – gute Zutaten ohne Geschmacksverstärker …

Hinten links die Wachtelpresse,
um der Soße den letzten Geschmack zu geben

Ready to cook

Ein wenig Trüffelbutter und Pinienkerne zum Finale

Braune Champignons als Ergänzung zu Morcheln und Steinpilzen

Fotos: Kirsten Buß

Stadt Bocholt

Kaiser-Wilhelm-Straße 52-58
46395 Bocholt

Fon: +49 (0)2871/953-0

www.bocholt.de