Des Kaisers neue Kleider

von | 21, 12, 20 | WEINHEITEN

Eine Bordeaux-Raritätenprobe mit Werner Näkel

Ich rufe eine Passage von der Seite noch einfügen in Erinnerung, wo beim Abschluss-Cappuccino vor dem Restaurant La Perla in Bad Neuenahr-Ahrweiler u.a. folgende Notiz in meine Schreibkladde geflossen ist: 

Die Rubrik WeinHeiten im PLATZHIRSCH #4 widme ich
Werner Meyer-Näkel und der Story von der Bordeaux-
Raritätenprobe. 

Ein Mann, ein Wort – ab in die Zeilen …

Um Werner Näkels Vita nebst Verdiensten um den
deutschen Spätburgunder gerecht zu werden, bräuchte es einer Sonderausgabe des PLATZHIRSCH. Ich beschränke mich hier auf die Stichwörter: 

#expauker 

#vollblutwinzer 

#pinotpionier 

#fruehburgunderpassionist

#suedafrikaliebhaber

#papaderpinotsistersdoerteundmeike

#menschgewordenegelassenheit 

#bodenständiger 

#klartextsprecher

Eine schöne Zusammenfassung über die Story vom Dad von Dörte und Meike Näkel (Seite 42-43) findet ihr bei unseren Magazin-Kollegen von Vinum. 

Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an Nicola Montemarano, den Verlagsleiter und Herausgeber dieses Magazins, für die sympathisch-rasche Reaktion auf unsere Anfrage zur Nutzung des Bildes in diesem Artikel. Wir heben gedanklich ein Glas zum Toast auf euch in Zürich und freuen uns darauf, dies irgendwann physisch auf der Pro-Wein in Düsseldorf nachholen zu dürfen.

Während es sich bei „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen um ein Märchen handelt, tauchen wir jetzt mit euch ein in eine True-Story, die sich Ende der 90-er im Tastingroom vom Weingut Meyer-Näkel zugetragen hat … 

Ich hatte – glaube ich – schon erwähnt, dass ich regelmäßiger Gast auf deren Jahrgangsverkostungen, quasi in diesem Epi-Zentrum des Deutschen Spätburgunders, war. 

Bei einer dieser Proben hing dort ein DIN A1 großes Plakat mit dem Hinweis „Bordeaux-Raritäten-Probe“. Darunter waren ca. zwölf Tropfen namhafter Weingüter wie Château Latour, Château Margaux und weitere große Gewächse aufgeführt. Es war ein vinologischer Streifzug, der zurückreichte bis ins Jahr 1927. 

Ich war damals Mitte Dreizig, bekennender WineFreak – aber mit einem ordentlichen Maß an Bodenhaftung, was den Wert von zu entkorkenden Weinen anging. Bis dahin hätte ich mir möglicherweise eine der flüssigen Devotionalien zu einem runden Geburtstag gewünscht – wenn alle Gäste zusammengelegt hätten. Jetzt bot sich die Möglichkeit, all diese legendären Tropfen an einem Abend probieren zu können. Ich war wie elektrisiert. Einen Großteil des Abends schlich ich um dieses Plakat – wie ein Panther, der seine Beute umkreist. Eine kurze Nachfrage bei Werner Näkel … und meine Vermutung wandelte sich in Gewissheit. Die Teilnahme an diesem exklusiven Tasting erforderte den Invest einer Kofferraumladung „Erben Spätlese“ – einem der Tropfen, mit dem ich mit 21 Jahren mein erstes Weinregal gefüllt hatte. 

Eine unruhige Nacht folgte. Als ich am nächsten Morgen meine 60 bestellten Wein-Flaschen mit Werner Näkel in mein Fahrzeug lud, legt er mir mit einem Augenzwinkern das abgehängte Plakat von der besagten Raritätenprobe auf den Beifahrersitz. Das waren die nachdenklichsten 174 Kilometer Rückweg in meinem bisherigen Leben.

Sollte man so viel Geld ausgeben, für die Verkostung von Weinen an einem einzigen Abend? Eigentlich hätte diese Frage ein klares NEIN meinerseits erfordert und bekommen – wenn nicht kurz zuvor ein Schicksalsschlag im Freundeskreis meine Denkrichtung verändert hätte. Wieviel „Müsste-man-mal-Machen“ haben wir alle auf unserer heimlichen Lebensagenda – nicht wissend, wann unser Ticket auf diesem Planeten abläuft. Die Erinnerung an das Schicksal dieses Freundes im gleichen Alter ließ mich zuhause zum Hörer greifen, um mich bei der Raritätenprobe anzumelden. 

Zeitsprung: Ich sitze am Kopfende einer Tafel im Weingut Meyer-Näkel. Mir gegenüber sitzt der Gastgeber Werner Näkel. Links neben ihm Rudolf Knoll, ein Urgestein des deutschen Weinjournalismus und Moderator des Tastings. Zwischen uns vier Paare – die meisten gefühlt doppelt so alt wie ich. 

Nach dem Motto „Ehre, wem Ehre gebührt“ verlor der älteste Tropfen aus dem Jahrgang 1927 als erster seinen Korken. Die Einschenkhöhe der geteilten Flasche (0,75 Liter dividiert durch elf Teilnehmer, abzüglich Depot) signalisierte „nicht zu hastig trinken“, was meiner Ehrfurcht vor diesem ca. 70 Jahre altem Tropfen sehr entgegenkam. Ich tat es meinem offensichtlich fachkundigem Umfeld gleich. Ich ließ die bräunlich anmutende Flüssigkeit durchs Glas kreisen, um dann daran zu schnuppern. Was mag dieser Wein in den zurückliegenden Jahren alles erlebt haben? Wo hat er während des zweiten Weltkrieges Unterschlupf gefunden? Das waren die Fragen die mir dabei durch den Kopf schossen. Während um mich herum die ersten Votes für den Geruch in den Raum posaunt wurden, wurde ich merklich stiller. 

Mich irritierte die Aussage „Ich rieche dunkle Schokolade“, die quer über den Tisch ergänzt wurde mit „Ja, aber mit einem Hauch von Vanille!“ Dazu gesellten sich dann noch „ein Mü von Johannisbeere“ und „Spuren von dunklem Pfeffer“ … Ein jeder schien beseelt von dem Gedanken, das passende Spurenelement herauszuriechen – während mein Gehirn aufgrund der engen Connection zur Nase zurückmeldete: „Was für eine üble Plörre!“ Aber was rede bzw. denke ich da …! Ich habw doch keine Ahnung … 

Plötzlich nahm der Gastgeber eine etwas aufrechtere Haltung an, räusperte sich und richtete folgende Worte an uns: 

„Ich habe lange überlegt, woran mich dieser Wein erinnert. Jetzt hab ich’s … “ 

Der Godfather of Redwine spricht zu uns! Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Vier Paare und ich hängten uns an die Lippen des Wissenden. Kaum auszuhalten, seine bewusst eingelegte Sprechpause …

„Kennt ihr den Geruch von so richtig schweiß-durchtränktem Sattelleder? So riecht dieser Wein. Ich habe keine Lust ihn auszutrinken, ich gehe einen adäquaten Jahrgang aus meinem Keller holen.“ 

… sprach er, um Selbiges zu tun.

Das war eine richtungsweisende Lektion für alle Schlau-Riecher und -schwätzer dieser Runde. Ein ehrlich-schnörkelloses Votum, dass dieser Wein „nackt war“, um es auf das Märchen von Hans Christian Andersen zu münzen. Es war zugleich der Startschuss für ein etwas relaxteres Tasting, mit deutlich weniger  Weinkenner-Latein und zwölf tollen Tropfen. die dann folgten. 

Dieses Momentum hat sich unauslöschbar in meine Synapsen eingegraben. Und ja, ich bin froh, dabeigewesen zu sein – wegen der Weine und der Erkenntnis, dass man kein (Wein-)Blatt vor den Mund nehmen sollte, wenn das Umfeld Unfug im Kanon quasselt. (rb)