Theodor
Barth, Köln
Auf der FINGERPRINT-Grafik auf Seite 9 haben wir deutlich gemacht, dass es auch die BILDERWELTEN sind, die den PLATZHIRSCH unique machen.
Dazu zählen Impressionen aus unseren eigenen Linsen und Impressionen der Business-Photographen Jochen von Eden und Jens Wiegrink, die wir zu unseren BILDERWELTEN-Gefährten zählen dürfen. Die beiden haben wir in der letzten PLATZHIRSCH-Ausgabe vorgestellt.
In dieser Ausgabe möchten wir euch mit Theodor Barth einen neuen, weiteren BILDERWELTEN-Gefährten vorstellen.
Einen facettenreichen, erfahrenen Profi, der uns insbesondere durch seine Impressionen im Automotive-Bereich neugierig gemacht hat. Nach dem gegenseitigen Beschnuppern bei Pasta und Wein stand fest, dass Theo unsere Indian-Summer-Tour mit den Defendern ins Ahrtal begleiten wird.
Nach dieser Zusammenarbeit wollten wir wissen, wie der Mensch tickt, der so angenehm bedächtig und ruhig mit
seiner Canon um uns herumwuselte. Blicken wir hinter seine Linse … in seine Gedanken, die er mit uns teilt.
Theo oder Theodor?
Von Freunden werde ich immer Theo genannt. Ich mag es aber auch ganz gerne, wenn ich meinen Namen ausgeschrieben in einem Text lese.
Okay, dann sage ich Theo und schreibe Theodor.
Wie du magst.
Canon oder Nikon?
Mittlerweile Canon. Nikon hatte ich früher, eine davon habe ich noch aufgehoben, eine analoge Nikon F5. Davor habe ich ganz viel mit meiner analogen Mamiya 7 gearbeitet. Das war meine absolute Lieblingskamera, die habe ich heute noch. Das ist eine Messsucherkamera, ähnlich wie eine Leica.
Zu Canon bin ich gekommen, weil die die erste brauch- und bezahlbare Digitalkamera auf den Markt gebracht haben. Ich war in dem Bereich echt ein Spätzünder. Ich habe das anfangs gar nicht verstanden, warum all meine Kollegen ihr System gewechselt haben und 10.000-15.000 DM für eine Kamera ausgaben. Da gab es einen unheimlichen Druck in der Szene. Viele Fotografen wurden durch ihre Agenturen zum Wechsel gezwungen. Die mussten Kredite aufnehmen und die bei ihren Agenturen abstottern. Für mich war das einfach zu überteuert und zu schlecht, was die Qualität der Bilder angeht.
Aber das ist längst Geschichte. Mittlerweile könnte ich mir auch wieder eine Nikon vorstellen. Die haben gewaltig aufgeholt, insbesondere was den Belichtungsspielraum der RAW-Daten angeht.
Lieblingsobjektiv?
Mein Pancake, ein 40-mm-Canon-Objektiv mit Festbrennweite. Das Ding ist es recht klein und kompakt gebaut. Dünn wie ein Pfannkuchen halt. Damit habe ich Portraits und Autos geschossen. Mittlerweile greife ich vornehmlich zu meiner Canon 17-40 mm. Wobei das Pancake im 40-mm-Bereich einfach besser ist, weil es nicht verzeichnet.
Facebook oder Instagram?
Es hat sich herausgestellt, dass Instagram für mich als Fotograf das bessere Medium ist. Auf Facebook war ich früher, mittlerweile gar nicht mehr.
Wann und wie wurdest du für die Fotografie angefixt? Gab es einen Schlüsselmoment, woran du dich erinnern kannst?
Ich bin relativ spät zur Fotografie gekommen, weil ich auch gar nicht die finanziellen Möglichkeiten hatte, mir so eine Kamera zu kaufen. Angefixt wurde ich damals durch unseren Leichtathletiktrainer, der war Hobby-Fotograf. Richtig intensiv beschäftigt habe ich mich mit Fotografie, als ich in der Oberstufe war und dann später während des Zivildienstes. Wir hatten dort ein kleines Fotolabor. Ich hatte Schwarz-Weiß-Aktaufnahmen von einem Kollegen gemacht, spärlich beleuchtet mit dem Licht einer Stehlampe. Diese Bilder sind dann in einem Café in Hildesheim ausgestellt worden, wo ich gebürtig herkomme.
Durch den Zuspruch, den ich erfahren habe, habe ich mich für die Aufnahmeprüfung an einer Fachhochschule angemeldet. Ich war mir gar nicht so sicher, ob ich das machen wollte. Aber nachdem ich als einer von 25 Bewerbern aus einem großen Kreis ausgewählt wurde, begann ich, Foto und Film Design in Bielefeld zu studieren.
Gibt es ein Idol, eine Person, zu der du gern heraufschaust im Bereich Fotografie?
Idole gibt es nicht. Dazu kenne ich die Fotografen und ihre Leben nicht gut genug. Eher deren Arbeiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Die Arbeit des Kriegsfoto-
grafen Philip Jones Griffiths, der britische Fotograf Richard Billingham und sein Buch „Ray is´n Witz“, der amerikanische Fotograf Larry Sultan und sein Buch „The Valley“, der Fotograf Oliver Sieber und sein Buch „Imaginary Club“, „Hart Island“ des Fotografen Joel Sternfield, aber auch noch einige andere.
Wenn du deine Passion Fotografie mit wenigen Worten umreißen würdest, was macht sie für dich aus?
Ich habe ganz schön oft auf den Auslöser meiner Kamera gedrückt. Trotz meines Alters lasse ich mich immer wieder von dem Momenten fangen, wo ich selbst sage: „Tolles Bild!“ Warum das dann so ist, weiß ich in der Regel nicht. Ob es die Magie des Bildes oder des Momentes ist, den ich da eingefangen habe. Trotz aller Routine, die mein Job mit sich bringt, bin ich immer auf der Suche nach dem Besonderen, nach dem überraschenden Bild.
Du hast etwas angesprochen, wo ich noch nie drüber nachgedacht habe. Hat ein Fotograf seinen persönlichen Zähler? Hat er ein messbares Gefühl dafür, wie oft er schon den Auslöser betätigt hat?
Ich zumindest nicht. Aber wenn ich nachdenke … Ich habe jetzt meine vierte Digitalkamera. Deren Limit liegt bei ca. 300.000 Aufnahmen. Wenn ich die analogen Aufnahmen dazurechne, komme ich auf ca. 2 Millionen Fotos – schätze ich.
Gibt es persönlichkeitsprägende Begleiteffekte bei der Fotografie für dich? Also, macht das auch was mit dir als Mensch?
Der Job als Fotograf ist zugleich quasi eine Eintrittskarte für viele Dinge, die man sehen darf oder kann. Ob das der Vorstandsvorsitzende in seinem Imperium ist oder die Menschen in einer Favela-Hütte in Brasilien. Das ist die Range, in der ich mich bewege. Es ist natürlich immer nur ein Einblick.
Das Faszinierende ist, dass die Fotografie mir diese Möglichkeiten bietet – einerseits. Andererseits finde ich es bisweilen sehr oberflächlich. Wenn ich mit Autoren unterwegs bin, denke ich manchmal, dass die mehr davon haben, weil sie sich viel tiefer mit den einzelnen Menschen beschäftigen, weil sie die Interviews führen.
Was mit der Fotografie einhergeht, ist, dass man schnell in einen moralischen Konflikt kommen kann. Das wurde mir bei meiner allerersten Reportage klar. Damals war ich mit dem chilenischen Fotografen Oliver Llaneza in Galizien unterwegs, um Fotos für das Greenpeace-Magazin zu schießen. Anlass war die Havarie von einem Öltanker. Ich war damals in dem Haus einer alten Muschel-Fischerin, die sehr ärmlich lebte und mich Fotos von ihr machen ließ. Ich war darauf fixiert, ein tolles Bild einzufangen, konnte mich aber nicht gegen den Gedanken wehren, dass sie womöglich glaubt, dass sich dadurch ihr Leben oder die Situation vor Ort verändert. Aber irgendwie ahnst du, dass sich die Dinge nicht verändern werden.
Früher hatte die Fotografie einen anderen Stellenwert. Da hat sie Friedensbewegungen ausgelöst, z.B. in den USA noch während des Vietnamkrieges. Diese Funktion hat sie vielleicht verloren. Die Zeiten haben sich verändert. Alles ist schneller, paralleler, visueller … so viele Bilder, Impressionen, die die Menschheit tagtäglich überfluten.
Dein Lieblingsmotiv?
Menschen … aber auch die Orte, an denen sich diese Menschen befinden.
Alte Menschen, die die Spuren ihres Lebens im Gesicht tragen? Die unschuldige Jugend? Schräge?
Am interessantesten sind sowohl alte Menschen, die ihr Leben gelebt haben, als auch junge Menschen, denen noch alles bevorsteht – die wie ein offenes Buch sind. Auch sehr unkonventionell lebende Menschen finde ich spannend.
Klar gibt es in einer Reportage immer auch einen Protagonisten, den du für dich selbst zum Hauptdarsteller auswählst. Weil er interessant aussieht oder etwas Interessantes macht. Das passiert eher zufällig. Als Beispiel: Ich war in Georgien, um eine Reportage für das mare-Magazin zu begleiten. Da waren die Fischer auf dem Boot im Wasser. Draußen im Wasser stand ein etwa 15-jähriger Junge mit langem Haar, der das Boot festhielt. Den habe ich spontan als wichtigen Bestandteil dieser Szenerie auserkoren.
Wenn du mir das coolste Foto von einem anderen Fotografen vorlegen sollst, was dich fasziniert … welches sehe ich dann?
„Migrant Mother“ von Dorothea Lange – natürlich auch wegen der Story1.
Die hat diese Frau fotografiert, während der großen Depression in den USA. Diese Frau lebte auf dem Land und musste ihre drei Kinder teilweise mit toten Vögeln ernähren. Ich finde die Frau und das Foto so toll, weil es hier nicht um dieses Trauer-bekundende Bild ging, wie man es oft in Reportagen sieht. Es drückt nicht Leid und Elend aus, was naheliegend wäre – sondern die Stärke und Souveränität der Frau, in einer für uns unvorstellbar extremen Lebenssituation.
Dein Lieblingsbild aus deinem eigenen Repertoire?
Ein Bild, was mir immer wieder in den Kopf kommt, ist das Bild von Pedro, was ich während meiner Diplomarbeit auf der Insel El Hierro gemacht habe. Ein Mann, der in einem Bretterverschlag in einer Höhle auf der kleinen Insel lebte. Er schaut nach unten, und man sieht irgendwie eine ganze Landschaft in seinem Gesicht.
Dein bislang faszinierendster Foto-Job?
Vielleicht war es, als ich diese Siedlungen der Alten in den USA fotografiert habe, diese Retirement-Communities in Sun-
City. Das war auf meiner ersten USA-Reise. Da war ich mit Stefan Scheytt unterwegs, der die Story dazu geschrieben hat. Ich war fasziniert von der Art und Weise, wie diese Menschen dort leben. Das hatte etwas von Disneyland. Eine Siedlung, deren Infrastruktur nur auf die Vergnügungen der Bewohner im fortgeschrittenen Alter ausgerichtet ist.
Gibt‘s was aus dem Bereich Fotografie, was du gerne können würdest?
Ich sträube mich noch davor, mich mit dem Thema Film auseinanderzusetzen. Ich würde das gerne auf einem guten Niveau anwenden können, aber nicht, um ein großer Dokumentarfilmer zu werden.
Zudem würde ich gerne mal eine Großproduktion meistern, die ich mir vielleicht noch nicht so zutraue. Markus Wendler, ein Kommilitone von mir, hat eine Mercedes-G-
Produktion arrangiert. Der ist mit einem mehrköpfigen Team durch die Welt gereist, um den G an spektakulären Orten zu inszenieren, mit viel Licht, Kunstregen, etc. Das, denke ich … das würde ich auch gern drauf haben wollen.
Vielleicht noch eine Sache, wo es gar nicht um die Technik geht: Was ich bei einigen Porträt-Fotografen bewundere, ist, dass sie es schaffen, ihre Porträtierten dazu zu bringen, die verrücktesten Dinge zu tun und sie in dieser Situation zu fotografieren.
Ein Beispiel?
Die Fotografin Bettina Flitner aus Köln. Die ist in ein Bordell gegangen und hat Freier dazu gebracht, sich auf dem Bett fotografieren zu lassen.
Welcher Foto-Job ist absolut nicht dein Ding? Wofür sollte man dich am besten nicht buchen?
Ich habe mal für die Agentur Zeitenspiegel in Stuttgart gearbeitet. Da mussten wir für den Stern sogenannte „Abschüsse“ machen – so investigative Geschichten. In diesem konkreten Fall ging es um ein Umweltdelikt, illegale Einleitungen eines Chemiewerks in den Rhein. Da mussten die Verantwortlichen, von denen wir Namen und Adresse hatten, abgeschossen werden. Du sitzt da stundenlang wie ein Privatdetektiv und wartest. Das war definitiv nicht meins, weder vom Warten noch vom Ansatz bzw. Auftrag her.
Wenn du deinen USP beschreiben würdest: Was ist dein fotografischer Fingerprint? Was machst du anders als andere?
Das müsstest du am besten andere fragen. Ich habe dazu sehr unterschiedliche Aussagen von Bildredakteuren bekommen. Die einen buchen mich, weil ich irgendwie der sensible Typ bin, der sich so einbringen kann, der auch schwierige Themen und Protagonisten fotografieren kann. Die anderen, weil sie in meinen Bildern eine witzige, ironische Komponente sehen.
Gibt es ein Fotoprojekt, was bei dir auf der Löffel-Liste (Bucketlist) steht?
Ich würde gerne ein Buch machen, mit Arbeiten von mir.
Und das wäre welches? Welche Bilder würden dort einfließen?
Es gibt ein paar Themen, die ich aktuell bearbeite, zum Beispiel das Thema Flüchtlinge, die in meinem Elternhaus leben.
Es gibt aber auch neue Themen. Im nächsten Jahr möchte ich wieder in die Staaten, wieder mit dem Stefan. Der hat eine Story recherchiert über die Nachkommen ehemaliger Sklaven und die Verwicklungen einer Hochschule.
Was muss man denn über dich wissen, wenn man sich auf einem Foto-Job mit dir einlässt? Gerne auch deine Ecken und Kanten.
Dass ich chaotisch bin. Dass ich oft schnelle, plötzliche Ideen habe, die ich dann verwirkliche. Dass ich nur begrenzt planbar arbeite. Klar, es gibt einen vereinbarten Rahmen, in dem ich mich bewege. Aber viele Dinge entwickeln sich erst am Set, in der Situation. Ich weiß, dass ich in solch spontanen Momenten am kreativsten bin.
Das sind für mich überraschende Facetten, die du hier preisgibst. Durch dein ruhiges Agieren am Set wird das Chaos gar nicht so deutlich.
Interessant. Aber es ist dann wirklich viel Chaos in meinem Körper, ich bin dann wirklich unter Strom. Ich konzentriere mich auf dieses Sujet, was ich da mache, und blende alles drumherum aus.
Jetzt bin ich vollends bei ihm, ich weiß, was er meint. Bei den Shootings zu Indian-
Summer hatte ich ein paar Mal das Gefühl, dass Theo in seinem eigenen Film unterwegs ist. Zwar ganz klar im vereinbarten Drehbuch, aber irgendwie nicht erreichbar für die Folge-Bausteine wie Interview, Finale an der Ahr, etc. Das ist eine wichtige Erfahrung für unsere zukünftige Zusammenarbeit und meine Erkenntnis, dass wir ihm mehr Zeit einräumen müssen. Kreativität lässt sich nicht zwingen.
Noch ein Punkt zur Zusammenarbeit: Wer oder was kann dir so richtig auf die Nerven gehen?
Am meisten geht mir natürlich auf die Nerven, wenn mir jemand vorschreiben möchte, was ich zu machen habe. Ich bin offen für Vorschläge und setze die auch gerne um. Ich sage aber auch „Nein, das ist ein Blödsinn“, wenn ich das als solchen empfinde. Da bin ich hin und wieder schon mal angeeckt. Ich erinnere mich an einen Job, den ich für den Stern gemacht habe. Da ging es um eine Drogenabhängige, die wieder clean geworden ist. Da musste ich einen minutiösen Katalog des Redakteurs abarbeiten, mit ihm als Souffleuse im Rücken. Das war eine echt grässliche Aufgabe. Ich bekomme das schon hin, aber das ist absolut nicht meins, weil die Qualität meiner kreativen Arbeit leidet.
Beschäftige dich mit den normalen Dingen,
beschäftige dich auch mit dem Alltag,
beschäftige dich mit deiner Umgebung.
Was kannst du mit der Kamera, was ein iPhone 12 nicht kann?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass man auf einem Bild mit meiner Kamera andere Ebenen wahrnimmt. Beim iPhone hat man immer dieses Flache – ich sehe eine Szenerie und fange sie ein. Mit meiner Kamera kann ich viel spielerischer arbeiten. Ich kann mir Gedanken dazu machen, wieviel Schärfe ich dem Bild geben will. Ich kann mir genau überlegen, worauf ich den Fokus in dem Bild richten möchte, wie ich den Vorder- und Hintergrund arrangiere. Ich kann mich für eine Brennweite entscheiden. Das sind ein paar Details zur Qualität einer konventionellen Digitalkamera, die sie vom iPhone unterscheidet.
Dein ultimativer Tip für alle semi-professionellen Fotografen oder Menschen, die das Thema Fotografie für sich entdecken wollen? Nicht von der technischen Seite, sondern eher vom MindSet?
Der Fotograf Martin Parr hat gesagt:
„Beschäftige dich mit den normalen Dingen, beschäftige dich auch mit dem Alltag, beschäftige dich mit deiner Umgebung.“
Wenn du Kinder hast, dann beobachte sie: Schau ihnen mit der Kamera beim Spielen zu. Versuche, besondere Momente in diesen Augenblicken zu finden, und halte sie fest.
Fotografie wird oftmals dazu verwendet, um irgendwelche Selfies zu machen oder bestimmte Ereignisse wie Hochzeit, Kommunion und den runden Geburtstag zu dokumentieren. Markus Schaden hat mal gesagt, das seien Bilder für die Familien-Propaganda. Fotos, die die Familie im besten Licht zeigen.
Geh davon weg, schau auf das Banale. Deswegen ist es gut, die Kamera mitzunehmen, auch wenn keine großen Momente in Aussicht stehen. Wie zum Beispiel eine Situation mit den Flüchtlingen, die in meinem Elternhaus leben. Mit denen bin ich zum Discounter gefahren, weil sie dort einkaufen wollten. Es war dunkel. Ich habe meine Kamera rausgeholt und Yussuf dabei fotografiert, wie er seine Flaschen in den Automaten des Netto steckt. Eine banale Situation – deren Bild eine Ästhetik wiederspiegelt, die an die Fotos von Edward Hopper erinnert.
Du hast für viele Zeitschriften und Magazine fotografiert. Kannst du ein paar Beispiele als Spiegelstriche bringen?
Für den Stern habe ich relativ viel gemacht, vor allem größere Reportagen.
Beim Spiegel waren es eher kleinere, besondere Geschichten. Insbesondere in Interviewsituationen, wo ich sehr interessante Menschen kennengelernt habe.
Mit mare war ich viel unterwegs, z.B. in Alaska …
… also Auftragsarbeiten für viele große Zeitschriften und Magazine. Daneben gab es aber auch freie Geschichten, die ich gesucht habe und anschließend an die Redaktionen verkauft habe. Ich war viel in den USA unterwegs, auf den Azoren … ich bin ziemlich viel rumgekommen. In Russland war ich im Auftrag des Focus unterwegs, um eine Geschichte über die russischen Grabungsbrigaden zu dokumentieren, die die deutschen Soldaten aus den Löchern holen, die dort unmittelbar hinter der Front gefallen sind, um sie anständig zu begraben. Ich habe einen Teil des zweiten Weltkriegs in einer unfassbaren Dimension nacherlebt. Täglich fielen in diesem Vernichtungskrieg 20.000 Menschen.
Der deutsche Brigadeleiter konnte anhand der Knochen bestimmen, wie alt die Soldaten waren. Viele waren erst 18 bis 20 Jahre alt und jünger. Ihre Knochen verrieten zum Teil auch die schweren Verletzungen, die sie erlitten haben, bis sie gestorben sind.
Ich habe sehr viel Leid und Unrecht gesehen. Wir waren auf den Philippinen, um eine Geschichte über die Kinder von Sextouristen zu dokumentieren – dem möglicherweise größten Bordell auf diesem Planeten. Es gibt da ganz viele Kinder, die aus diesem „Geschäft“ entstehen, und es gibt keine Männer, die sich darum kümmern. Also wirklich sehr tragische Einzelschicksale, weil diese Kinder auch ausgestoßen werden aus der philippinischen Gesellschaft. Da waren wir halt. Ich erinnere mich an einen Jungen, William, damals ca. 15 Jahre alt. Er sah ein bisschen aus wie ein ganz junger Anthony Perkins. William hielt mir ein Gruppenfoto mit Männern entgegen. Auf diesem völlig zerknitterten Foto stand ein Mann mit Sonnenbrille im Hintergrund. Der Junge war umtrieben davon, diesen Mann zu finden, um festzustellen, ob dies sein Vater sei. Du willst einfach wissen, wer der Erzeuger ist, auch wenn es eben dieser ist. Das lässt dich nicht los.
Als wir uns in Düsseldorf beim Portugiesen zum Essen getroffen haben, hast du mir von einer Story mit einem besonderen Konzertflügel erzählt …
Das war eine Auftragsarbeit für das amerikanische Magazin Wired. Die sind durch eine Reportage auf mich aufmerksam geworden und haben mich dann gebucht. Die haben mich durch ganz Europa geschickt, wegen diesem besonderen Flügel. Es gibt, glaube ich, nur zwei davon auf dieser Welt, ein Bösendorfer Konzertflügel mit einer besonderen Eigenschaft. Der Flügel ist in der Lage, die Partitur, die der Pianist spielt, aufzuzeichnen. Und zwar nicht nur den Klang, sondern auch Art und Intensität des Anschlags. Ein Wissenschaftsteam aus Wien beschäftigt sich mit den gewonnen Daten und analysiert die gespielte Partitur des Pianisten. Wenn er zum Beispiel das Klavierkonzert von Tschaikowsky spielt, dann spielt er das auch mit seinen individuellen Fehlern. Diese Fehler sind sein Charakter, dieses Stück zu interpretieren. Jeder Pianist spielt das Stück immer eine Nuance anders … mehr Moll, mehr Forte in gewissen Teilen des Stückes. Das spielen die Wissenschaftler in ein Programm ein. Sie sind dann in der Lage, jedes Stück dieser Welt so nachspielen zu lassen, als wenn die analysierten Pianisten selbst an den Tasten sitzen würden.
Du sitzt hier nicht mit Lang Lang zusammen. Noch mal für musikalische Schlichtgemüter wie mich … der Flügel merkt sich also den Fingerprint desjenigen, der ihn spielt?
Genau. Und diese Daten, diesen Fingerprint können sie dann nutzen, um andere Partituren genauso spielen zu lassen, wie es der Pianist getan hat, den sie mit Hilfe des Flügels analysiert haben.
Ich glaube, es verstanden zu haben … Theodor, wir haben uns kennengelernt über unser Projekt „Ready for Take off“ für unseren Partner BMW/Mini Boomers. Zu deinem Repertoire zählen auch Shootings rund um das Thema Automotive. Auf deiner Website kann man einiges darüber sehen – unter anderem auch eine Reportage2 zu einem alten Land Rover Defender – grenzgeniale Bilder, wie ich finde.
Mittlerweile mache ich ziemlich viel in dem Bereich, wo sich eher durch Zufall die Tore für mich geöffnet haben. Ich sollte für ein Buchprojekt einen jungen Mann porträtieren, den Manni Huber aus Bayern. In diesem Buch ging es um Geschichten rund um den Porsche 911 und die Charaktere, die ihn fahren. Manni war ohne Beine auf die Welt gekommen. Ein interessanter Typ, der schon als Kind davon geträumt hat, einen 911-er zu fahren. Diesen Traum hat er sich verwirklicht und in seinen 911-er eine Apparatur gebaut, mit deren Hilfe er den Boliden nur mit den Händen bewegen kann – also Gas geben, kuppeln, schalten, bremsen und lenken. Das habe ich porträtiert. Der Verlagsleiter rief mich ziemlich begeistert an und fragte, ob ich nicht öfter für die arbeiten wolle. So bin ich dann über weitere Auftragsarbeiten in diese Szene reingerutscht.
Ich finde deine Fotos in diesem Bereich heben sich wohltuend von dem ab, was man hinlänglich kennt.
Mich interessierten nicht diese Fotografien von perfekt ausgeleuchteten Fahrzeugen. Auch in diesem Segment geht es mir darum, eine Geschichte zu erzählen, auch wenn ich ein Auto fotografiere. Das macht vielleicht den Unterschied zu den Fotografen, die sich eher an der Oberfläche dieses Autos abarbeiten.
Ich habe mittlerweile viel für Porsche und Bugatti gearbeitet. Auch für Mercedes … da war ich mit einem Coupe der S-Klasse und einer Restaurant-Testerin in der Champagne unterwegs. Die hättest du auch gut schreiben können.
Das klingt nicht doof.
Das wäre genau dein Ding gewesen.
Beim Portugiesen hatte ich dir von einem Punkt auf meiner Bucketlist berichtet, nämlich mit unserem Defender und einem Lacanche-Herd zum Ausziehen vornehmlich durch Frankreich zu touren, um zusammen mit tollen Menschen an schönen Stellen regionale Produkte zu brutscheln.
Das wäre cool. Mach´ das! Eure Art, auf Menschen zuzugehen, sie für ein Projekt zu gewinnen, habe ich im Ahrtal hautnah miterlebt. Ich finde das total bewundernswert.
Danke für dein Feedback, mein Lieber.
Wir freuen uns auf weitere, gemeinsame Projekte. (rb)
Theodor Barth
Photographie
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