Das Scheitern von heute sind die Erfolge von morgen

von | 23, 03, 20 | ALLGEMEIN

Ein Interview mit Bert Overlack.

 

#1 Bert, gehen wir in die Weltfinanzkrise, in das Jahr 2009. Wie ist deine Story dazu?
Januar 2009, unser Umsatz betrug 50% weniger als in den Vorjahren. Das war nichts Ungewöhnliches, einen schlechten Monat gab es immer.  Diesmal war es halt der Januar.

#2 Ich muss eben zwischenfragen, in welchem Business? 
Ich war geschäftsführender Gesellschafter einer Unternehmensgruppe im Bereich Holzwerkstoffe in der Möbelzulieferindustrie. Wir haben Furniere hergestellt und diese weltweit gehandelt. Mit Unternehmen von Ikea bis zum Schreiner um die Ecke. Furniere, Oberflächenmaterial für Spanplatten, Tischlerplatten und so weiter. Wir hatten fünf Standorte und 350 Mitarbeiter. Ein weltweites Geschäft mit Kunden in 43 Ländern. Ich habe das Unternehmen 2004 von meinen Eltern übernommen. 2007 hatten wir ein Rekordjahr, den Umsatz hatten wir innerhalb von 7-8 Jahren verdoppelt.

#3 Okay, richten wir wieder den Focus auf 2009.
Der Februar war auch nicht wesentlich besser als der Januar. Und damit war klar: „Houston, wir haben ein Problem!“ Das waren die Auswirkungen der Finanzkrise, die sich in unserer Branche ganz schleichend entwickelt hatte und sich dann plötzlich in einem Tsunami entlud. Wir haben die Banken informiert. Die Banken hatten ihre eigenen Vorstellungen, während wir restrukturiert haben. Für mich war das plötzlich wie eine Art Zwei-Fronten-Krieg. Im Ergebnis waren wir Mitte 2010 wieder bei einer schwarzen Null – aus unserer Sicht hatten wir erfolgreich restrukturiert. Zu dem Zeitpunkt kam die  Kreditkündigung von unserer größten und wichtigsten Bank, und damit begann ein neues Kapitel. Im Dezember 2010 hatten wir das Gefühl, dass wenig Verhandlungsbereitschaft vorhanden war. Wir haben uns dann von Monat zu Monat gerettet, immer von der Hoffnung getragen, dass da noch Bewegung ins Spiel kommt. Ende Juni 2011 war dann klar, hier bewegt sich überhaupt nichts mehr. Am 26. Juli 2011 habe ich dann beim Amtsgericht Baden-Baden den Antrag auf Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens gestellt.

#4 Wo liegt das Motiv einer Bank, sich mit den kalkulierbaren 5% aus der Insolvenzmasse zu begnügen, statt aktiv an einem Restrukturierungskonzept mitzuarbeiten?
Ich habe es damals überhaupt nicht verstanden. Ich denke aber, dass es mit der Eigenkapitalhinterlegung der Banken zu tun hatte. Wir waren ja nicht die Einzigen, es ging vielen Kunden ähnlich, zur damaligen Zeit.

#5 Bert, wir sprechen hier über eine 41-jährige Unternehmensgeschichte. Du hast das Unternehmen von deinem Vater übernommen. Wie ist dein Vater damit klar gekommen?
Extrem schwer. Er war zu der Zeit immer noch sehr dicht dran am Unternehmen. Für ihn war es genauso ein traumatisches Erlebnis. Das war sein Kind – ich nehme den Begriff sehr bewusst, weil es einfach so ist, in einem typischen Familienunternehmen. Da sitzt das Unternehmen immer mit am Tisch, fährt mit in den Urlaub, etc. Es ist kein biologisches, aber zumindest ein mentales Familienmitglied. 

#6 Du hast von einem hohen emotionalen Stress in dieser Krise geschrieben. Ich lese da eine Melange  aus Existenzängsten, Wut, Zweifel, Einsamkeit, Überforderung. Jedes dieses Gefühle ist an sich schon sehr dramatisch. Wie hält man das aus, wie kommt man da durch? 
Dafür reicht die Zeit dieses Interviews nicht. Gerne erzähle ich darüber in eurer Veranstaltung am 21.11.2019. 

#7 Okay, letztendlich hast du in unserem Vorgespräch den ausschlaggebenden Punkt, das Motiv für dieses Veranstaltung „Kann denn Scheitern Sünde sein?“ geliefert. Ich zitiere dich: „Wie würde es unserer Gesellschaft gehen, wenn wir Menschen mit Insolvenzerfahrung nicht stigmatisieren, sondern bewusst integrieren?“
So ist es. Ich freue mich, dass ihr den Ball aufgenommen habt. Ich war im Dezember 2015 zum ersten Mal auf einer sogenannten Fuck-Up-Night in Stuttgart eingeladen. Das ist mittlerweile ein weltweit etabliertes Veranstaltungsformat, wo Menschen über ihre Brüche und Niederlagen berichten. In Stuttgart waren 40-50 Menschen. Deren Durchschnittsalter schätze ich auf fünfundzwanzig Jahre. Wir hatten nach meinem Vortag eine so spannende Diskussion, dass es bei mir Klick gemacht hat. Hey, da gibt es junge Leute, die kennen dich nicht. Die sind an deiner Geschichte, an deiner Reflektion, an deinen Erkenntnissen interessiert. Was wäre, wenn deine Erfahrung einen Sinn machen würde, wenn mehr Menschen davon profitieren könnten? Wenn diese Menschen Anstöße bekommen, für die eigene Reflektion. 

#8 Und daraus ist ein Buchprojekt erwachsen. Ich zitiere aus den Rezensionen: „Das beste Buch zum Thema Scheitern auf dem deutschen Markt.“ „Die Attraktivität des Buches liegt darin, dass Overlack es sich versagt, aus seinen Erfahrungen gemeingültige Beraterweisheiten abzuleiten.“ „Er vergleicht seine ehrlich erzählte Geschichte konsequent mit dem, was die Wissenschaft zu dem Thema Lernen aus Krisen zu sagen hat.“
Ich weiß, dass du mit dem Titel nicht glücklich bist. Aber es gibt keinen Begriff, der die Emotionalität des Scheiterns in sechs Buchstaben verpackt.  

#9 Dann ist das so. Und wenn man am Klappentext vorbei ist, wird es richtig toll. (Schmunzeln.)
Ich zitiere dich nochmal: „Ich dachte, ich könnte es alleine schaffen. Ich verzichte auf einen Berater.“ Was war dein Motiv, keinen Berater hinzuzuziehen? War es Eitelkeit?  Waren es die Kosten?
Es war schlichtweg genau diese Mischung. Nenn es Eitelkeit, für mich war es die Überzeugung. Ich kann das, ich kann das auch alleine. Und ja, es waren auch die Kosten. Da werden 1.500 bis 2.000 Euro am Tag aufgerufen, und du denkst dir, wie lange muss ich dafür arbeiten. Und das mit dieser angespannten Kostendecke. Ich bin vom Denken her immer schon generalistisch ausgelegt gewesen – ich habe mich in die Breite interessiert und nicht in die Tiefe. Dieses gesunde Halbwissen zu haben, ist für einen Generalisten ein Vorteil. In dieser Situation, wo du Spezialwissen brauchst, war es für mich ein Nachteil, so zu denken. Da kannst du mit deinem Allgemeinwissen das Spezialistenwissen nicht kompensieren.  

Wir freuen uns auf die Veranstaltung, am 21. November 2019, mit Bert Overlack – dem heutigen Coach, Berater, Autor, Keynote-Speaker, Kulturstrategen und einer der sympathisch glaubwürdigsten Menschen, die ich kenne. (rb) 

 

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