Weinkönigin unplugged in den Weinbergen mit Julia Baltes (geb. Bertram)

von | 21, 12, 20 | ALLGEMEIN

Dienstag, 13.10.2020, 16:00 Uhr,
Hardtbergstraße 5, Dernau, Weingut Julia Baltes (geb. Bertram)

Wir sind pünktlich wie die Maurer. Da steht sie … die, die mit dem Schimmel einen Apfel teilt. Genau so, wie die natürlichen Impressionen auf ihrer Facebook-Seite und unser Telefonat es erwarten ließen.

Nach einer Corona-gerechten Begrüßung springt Julia zu Kirsten in den Defender, um uns zu ihrem Lieblingsplatz zu lotsen. Theo und ich folgen im Alten – was wir jahrgangs-technisch auch als passend empfinden. Wieder im „Schleichfahrt-Modus“ unterwegs, klettern wir mit unseren Land Rovern durch die Weinberge oberhalb von Dernau. Ist das schön hier – auch wenn wir wissen, dass die Natur sich hier in ein paar Wochen farbentechnisch noch mehr austoben wird. Nach ein paar Impressionen vom Weg, vom Lieblingsplatz, von den Ladies im Defender sitzen wir inmitten der Reben.

Julia … wir starten. Als ich mit Marietta über unser Ahrtal-Drehbuch telefoniert habe, und das wir unbedingt „Women in Wine“ dabeihaben wollten, sagte sie: „Dann muss du unbedingt mit Julia sprechen, die hat noch richtig Schlidder im
A —“ Was ist damit gemeint?

Der herzhaften Lachsalve folgt ein „Danke Marietta!“

Damit sind Power, Energie, Ideen gemeint. Ich bin ziemlich umtriebig, ich habe immer was zu tun. Ich denke, dass sie das meint.

Im Jahre 2013 warst du Deutschlands Weinkönigin.

Das ist schon einige Zeit her, mittlerweile bin ich wahrscheinlich eher Queen Mum.

Okay, Wein-Queen-Mum. Ich verrate dir ein Geheimnis: Du solltest wissen, dass wir Blaublüter jetzt gerade unter uns sind – du sprichst mit einer Prinzessin. 

Es folgte die gleiche Erläuterung, wie schon beim Interview mit Anna Nagel. 

„Du sprichst mit einer Prinzessin“ … ich kann nicht mehr …

Der Pegel des Aufnahme-Mikros schlägt bis tief in den roten Bereich. Julia lacht sich kaputt, herzerfrischend, ansteckend … unlustig wird die Zeit mit ihr nicht.

Jetzt verstehe ich das erst. Okay, ich bin gespannt.

Eine paar Fragen-Salven vorweg … Lieblingswein aus deiner eigenen Range?

Dernauer Spätburgunder.

Fremde Range – Deutschland?

Spätburgunder Paul Fürst.

Lieblingsweinland außerhalb Deutschland?

Frankreich.

Region?

Burgund … als Spätburgunder-Winzerin sehr naheliegend.

Die Lady fackelt nicht lange – die Antworten kommen genau so schnell wie die Fragen. 

Bucketlist – welcher Tropfen muss deinen Gaumen gestreichelt haben, bevor du in gefühlten 85 Jahren ins Gras beißt?

Eine richtige Liste habe ich tatsächlich nicht. Wenn ich eine Liste hätte, gäbe es dort eine Unterliste „Spätburgunder“ – Weine aus möglichst vielen verschiedenen Ländern, verschiedener Jahrgänge, von so vielen verschiedenen Winzern wie möglich.

Das ist einfach meine Traube, meine Passion – da lernt man nie aus.  An nächster Stelle stünde Riesling, ich bin da eher klassisch gestrickt.

Magst du einen ultimativen Riesling-Tipp mit uns teilen?

Was ich sehr gerne trinke ist Riesling Kabinett von der Mosel: wenig Alkohol, ein bisschen Restzucker, knackige Säurestruktur … den kann man quasi schon zum Frühstück trinken. Reift total gut. Den kann man heute wie auch noch in 15 Jahren gut trinken, gerade aus den guten Jahrgängen. Eine solche Qualität gibt’s nur an der Mosel – der ist super einzigartig und charakterstark, das finde ich klasse. Was ich da sehr gerne mag, ist Maximin Grünhaus von der Ruwer.

Die ersten vier Minuten sind rum. Wir stoßen an mit einem 2018-er Dernauer Spätburgunder von Julia, toller Wein. Mental ordere ich gerade einen Karton von den Grünhaus’schen Botteln. Ich war vor Urzeiten mal dort und habe Graf von Schubert ein paarmal auf der Pro-Wein in Düsseldorf getroffen. Merci fürs Erinnern, Julia!

Sag mal, Wein zum Frühstück … kommt das vor?

Eine viel-verratendes Gelächter verrät mir, dass ich auf der richtigen Spur bin. 

Ab und zu. Selten. Sehr, sehr selten.

Komm, wir verbrüdern uns – Kirsten soll erfahren, dass ich gar nicht so unnormal bin.

Okay, ich gestehe … es darf auch schon mal etwas Prickelndes am Morgen sein. Wein kommt auch schon mal vor, das ist aber ein bisschen weniger geworden, seitdem wir einen Sohn haben. Aber davor …

Ein vielsagendes Schmunzeln spricht ein paar Bändchen. 

Urlaub ist nicht so unser Ding, d.h. wir kommen nicht so richtig dazu. Aber bei Auszeit am Wochenende, z.B. in einem Hüttchen an der Mosel, da gibt’s auch Wein zum Frühstück.

Kirsten, hast du das gehört? Es gibt Wein zum Frühstück bei Bertram-Baltes, ich bin kein Exot. 

Nicht täglich!

Kirsten mischt sich ein: Der Unterschied ist, dass Julia Winzerin und Weinkönigin ist und du nicht. Die muss das von Berufs wegen tun.

Welch rauer Ton, wie sprichst du überhaupt mit einer Prinzessin?

Gelächter.

Wir machen den Schwenk in Richtung Food. Deine absolute Lieblingsspeise?

Schwierig, aber wenn du eine Entscheidung willst: Spargel, mit frischen Kartoffeln.

Gehörst du zu den Menschen, weswegen wir in die Pflegeversicherung einzahlen oder kannst du kochen? 

Jetzt verschluckt sie sich gleich an ihrem Lachen oder ihrem Spätburgunder oder an beidem gleichzeitig …

Ich kann kochen, hoffe ich. Bis jetzt hat sich selten einer beschwert. Ich koche sehr gerne. Ich glaube, als Winzer sollte man kochen können – Winzer sind Genussmenschen. Zu einem guten Wein gehört ein gutes Essen. Wenn ich da immer auf andere angewiesen wäre, fände ich das problematisch.

Welches Gericht macht dir so schnell
keiner nach?

Ne gute Gemüsepfanne, glaube ich.

Das mag sein. Die würde ich zum Beispiel nicht nachmachen.

Okay… ich stecke 5 Euro ins Chauvi-Schweinchen, während Julia das galant überhört.

Themenwechsel. Dein aktuelles Auto?

Einen Volvo fahren wir, einen XT 60 … schwarz. Es fährt, das Ding – mehr weiß ich darüber nicht.

Warum auch? Ich muss ja auch keine technischen Details wie Alkohol, Säure, Restzucker etc. zu ihrem Dernauer Spätburgunder wissen. Schmeckt – reicht.

Gibt es ein Traumauto für dich? Außer den neuen Land Rover Defender?

Den hätte ich jetzt natürlich als Erstes genannt. (Grinst.) Ich muss ehrlich sagen, ich bin kein Auto-Jeck. Für mich ist es wichtig, dass er ein wenig höher gelegen ist, damit er nicht bei jeder Bodenwelle hier im Weinberg aufsetzt. Ein paar PS unterm Hintern finde ich auch ganz gut, ich fahre schon ganz gerne schnell. 

Wo wir gerade bei Fahrzeugen sind … dein Baujahr? 

1989.

Du wirst wahrscheinlich Flaschen aus diesem Jahrgang haben, oder?

Ehrlich gesagt war das kein guter Weinjahrgang. Aber ja, ich habe Flaschen aus dem Jahr, auch hier von der Ahr. Meine Mama hat gesagt: „Die konnte man schon zu deiner Kommunion nicht mehr trinken.“

So’n lieber Gott, der hat ja auch echt viel zu tun, wahrscheinlich hat der sich 1989 auf andere Dinge als auf Wein konzentriert. 

Ich denke auch.

Wie sieht es mit der Frauenquote bei euch Winzern aus?

Im Moment ist Winzerdasein immer noch ein von Männern dominierter Beruf – aber wir sind auf dem Vormarsch. Immer mehr Frauen bereichern unseren Berufsstand. Meine Tante ist gelernte Winzerin. Als sie damals in der Berufsschule war, waren es zwei Mädels pro Klasse. Mittlerweile sind ca. ein Drittel derjenigen, die Weinbau studieren, Mädels.

Als ich angefangen habe, mich intensiver mit Wein zu beschäftigen, habe ich mal einem Vortrag eines französischen Weinjournalisten gelauscht. Der sagte: „In diesem Business habt ihr wenig Chancen, richtig reich zu werden – aber ihr habt wesentlich mehr vom Leben.“ 
Zur Vorbereitung auf dieses Interview habe ich natürlich dein Profil auf Facebook gestalkt. Ich habe festgestellt, dass du die Chance des Reichtums verdoppelt hast – dein Mann hat auch ein Weingut, oder? Ich habe einen schönen Artikel zu eurer Pinot-Romanze gelesen. 

Benedikt kommt ursprünglich auch von der Ahr, aus Mayschoss. Er hatte, bevor wir ein Paar wurden, ein Weingut in Franken gekauft. Bis zum letzten Jahr gab es tatsächlich diese beiden Weingüter, 240 Kilometer voneinander entfernt.

 Es waren zwei Königskinder … summt es ganz hinten im letzten Winkel zwischen meinen beiden Ohren. 

Im letzten Jahr haben wir uns dazu entschieden, das Weingut in Franken zu verkaufen. Jetzt mit unserem Sohn Anton (2 ½) ist es einfacher und schöner, die Kräfte zu bündeln, mehr gemeinsame Zeit zu haben und unser Familienweingut in unserer beider Heimat voranzutreiben. 

Es gibt Menschen, die sind gegen Rotwein allergisch oder gegen Meeresfrüchte. Wogegen bist du allergisch, im übertragenen Sinne? Wer kann dir so richtig auf die Nerven gehen?

Mein Steuerberater – sorry, Daniel. 

Julias Lachen wird man im Tal noch hören. Dann folgt auch schon die Begründung: 

Angesichts der zunehmenden Bürokratie frag ich mich manchmal, warum ich Winzerin geworden bin, bei dem, was sich da auf meinem Schreibtisch alles ansammelt. Man dokumentiert sich dumm und dämlich. Ich habe mich für den Beruf entschieden, weil ich gerne in der Natur bin, weil ich gerne in den Reben arbeite. Mittlerweile bin ich für meinen Geschmack viel zu viel im Büro. 

Ich möchte mit dir nicht das klassische Interview führen, wie Vita, Historie des Weingutes, etc. aber – umschreib doch mal euer Weingut. Was ist der USP, was macht es besonders? 

Wir sind ein kleiner Familienbetrieb. Wir bewirtschaften hier an der Ahr 7 ha – das ist im deutschland- und weltweitem Vergleich eher als klein zu bezeichnen. Es sind überwiegend Steil- und Steilstlagen, was sehr viel Handarbeit im Weinberg erfordert. Wir arbeiten ökologisch. Wir setzen außer Schwefel nichts zu. Wir setzen keine Schönungsmittel ein. Wir filtrieren die Weine nicht. Wir wollen sie sehr natürlich auf die Flasche bringen. Und … wir haben uns ausschließlich auf Spätburgunder spezialisiert, was eher selten anzutreffen ist. Unsere Idee ist es, sehr handwerkliche Weine herzustellen. Sehr elegante, feine Spätburgunder, die sehr naturnah und nachhaltig ausgebaut werden. 

Ich bin sehr viel in Südafrika unterwegs gewesen, um dort Weine zu verkosten. Bist du schon mal dort gewesen?

Ja, ich war mit der Dörte Näkel dort. Die Näkel betreiben in Stellenbosch ein Weingut, gemeinsam mit Neil Ellis. Ich finde das Land sehr faszinierend, sehr schön. Ich möchte unbedingt wieder dorthin. 

Übersetze doch mal diese 7 ha Rebfläche in die Anzahl der Flaschen eurer Jahresproduktion.

40.000 bis 42.000 Flaschen – dieses Jahr etwas weniger, die Ernte war eher klein. 

Was müssen die Menschen wissen, wenn sie neugierig darauf sind, mit dir, euch oder euren Weinen in Kontakt zu kommen?

Sie dürfen darauf vertrauen, sehr authentische, sehr pure Weine zu verkosten. 

Unplugged-Wine sozusagen? 

Genau, wir greifen nur ganz behutsam ein … auch aus Respekt vor dieser tollen Rebsorte. Der Spätburgunder reflektiert den Boden, das besondere Mikroklima hier an der Ahr, wo er gewachsen ist. Von daher sind es sehr charakterstarke, eigenständige Weine. Nicht nur jeder Jahrgang ist anders, was beim Wein allgemein so ist, sondern auch jeder Standort ist anders. 

Wir trinken hier jetzt den Dernauer Spätburgunder. Wenn wir jetzt den Ahrweiler Spätburgunder trinken würden, dessen Weinberge nur 6 km von diesem Platz hier entfernt sind, trinken wir zwei komplett unterschiedliche Weine, auch wenn sie gleich ausgebaut wurden. Das fasziniert mich total, dass sie ihre Herkunft so zeigen. Das ist ein bisschen, wie

„Heimat in Flaschen
gefüllt“.

Das macht unsere Weine aus.

Das ruft förmlich nach einer Blindverkostung einiger eurer Spätburgunder, um seinen persönlichen Lieblingsberg – also dessen Lage hier an der Ahr – zu erschmecken, oder? 

Klingt nach einem guten Plan.

(Schmunzeln.)

Ich habe auf deiner Facebookseite den Spruch gefunden „I’m over-worked and under-wined“ – den fand ich genial. Gibt es außer diesem Spruch noch einen coolen Weinspruch, den du mit uns teilen willst? 

Oje, da muss ich tief überlegen. Ich war schon als Weinkönigin kein Fan von Weinsprüchen. Aber … den hier hatte ich schon gar nicht mehr auf dem Schirm, wobei ich ihn toll finde: 

Es ist nie zu früh für Spätburgunder“ – und der geht natürlich auch andersherum:  Es ist nie zu spät für Frühburgunder“
Die beiden kannte ich noch nicht, wobei wir auch wieder beim Frühstückswein wären …
 Wir vertreten die Auffassung, dass man den Wein als das betrachten sollte, was er ist, ein Genussmittel. Und von daher nehmen wir ihn gerne gedanklich vom Sockel und stellen ihn auf den Tisch. Was will ich damit sagen? Dieses schlaue Geschwätze und Gehabe um dieses Produkt irritiert uns, um es vorsichtig zu sagen. Wir mögen es auch hier gerne unplugged. Wie ist das bei dir? Gibt es eine passende Story, die du mit uns teilen möchtest?

Ein paar …

(Das Schmunzeln verrät, dass damit auch ein paar Bände gemeint sein könnten). 

Es gibt natürlich Menschen, die uns aufsuchen, die schon sehr „wein-schlau“ sind. Die alles wissen und können. Aber wer bei uns auf den Hof kommt, der ist sehr schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen unterwegs. Wir haben weder eine schicke Vinothek, noch ein repräsentatives Gebäude. Bei gutem Wetter sitzen wir auf dem Hof mit einem wunderschönen Blick in die Weinberge. Wenn es kühl ist, dann sitzt man drinnen bei Opa und Oma im Wohnzimmer. Uns ist wichtig, dass die Menschen wissen, dass wir Handwerker… dass wir Landwirte sind. Bei uns dreht sich alles um das Produkt Wein, dabei geraten andere Dinge schon mal aus dem Fokus.

Vor einiger Zeit fuhr ein Neukunde bei uns vor. Der kannte sich echt gut aus, u.a. auch zu sehr renommierten Betrieben in Deutschland und der übrigen Weinwelt. Meine Tante hat mit ihm unsere Weine verkostet. Er war wohl etwas irritiert, sprich: er wusste nicht, ob er tatsächlich bei uns richtig ist. Unsere Lebensrealität schien nicht im Einklang zu sein mit dem Bild, was er sich von uns gemacht hatte – möglicherweise aufgrund meines Titels als Deutsche Weinkönigin und den Berichten über unsere Weine. 

Mein Tante hat ihm beim Einladen seiner Bestellung helfen wollen und stand dann mit den Kartons am Heck seines Porsches, nicht wissend, dass dieses Gefährt seinen Kofferraum vorne hat. Die beiden haben mächtig gelacht, er fand das authentisch-sympathisch. Seitdem ist er Stammkunde bei uns. 

Eine schöne Story zum Abschluss, liebe Julia. Zum Wohl! 

Das ist echt unkompliziert mit euch. Danke. 

Julia nimmt einen zufrieden-beherzten Schluck von ihrem LLB (Lieblingsburgunder), während ich eher nippe. Ich muss unser „Schwarzes Schaf“ noch heil durch die Steilhänge bugsieren.

Fotos: Theodor Barth