Gedanken zur Balance im Business

von | 15, 05, 20 | DIGITAL

September 2019 

Nach der morgendlichen Cappuccino-Time mit meiner „Komplizin“ Kirsten nehme ich meinen Platz an meinem Lieblingsschreibtisch ein. Den Finger auf die Touch-ID des MacBook Pro …

Dieses smarte Teil aus der kleinen Hard- und Software-Manufaktur in Cupertino/Kalifornien steuert zwei Apple-Displays und einen Oldschool-Yamaha-Verstärker an. Als bekennende Nachteule komme ich ohne Musik nur mühsam in den Tag. „Way down we go“ von Kaleo 

wabbert klar über die amtlichen Cambridge-Audio-Boxen, rechts und links der Displays.
Passend zur Einfahrt dieser isländischen Band in den Thrihnukagigur, einen ruhenden Vulkan in der Nähe von Reykjavik, tauche ich in meine „Morgenseiten“ ein …
 

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Die ersten Gedanken fließen aufs Papier … mein morgendliches Ritual, um ins Schreiben zu kommen. In der Regel lasse ich mich durch ein Stück wach-spirieren. Dann sucht sich der kreative Fluss der Gedanken seinen Lauf. 

Mein werbefreier YouTube-Account kennt meinen Geschmack inzwischen ziemlich gut. Ich kann nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die das als bedrohlich empfinden. Für mich persönlich ist das eine Bereicherung, weil: gewonnene Lebenszeit. Ich muss nicht mehr so viel recherchieren wie früher, um Neues zu entdecken. Als ich nach diesem Stück die Pause-Taste drücken will, spielt YouTube dieses Musikvideo an: 

Titel: We Are  

Band: HAEVN  

Album: Symphonic Tales

Ich drehe das Volume-Rad am Verstärker bis zur „Kurz bevor die Nachbarn klingeln“-Stellung, löse die Arretierung meines Schreibtischstuhles, lehne mich zurück und genieße. Irgendwie hat mein musikalisches Gehirn eine eher schwach ausgeprägte Verlötung zur klassischen Musik. Hier wird mir gerade der Zugang erleichtert. 

Die Streicher dominieren, angeführt von einem grau-haar-bärtigen Dirigenten im Studio. Ein Solist wartet hinter Glas auf seinen Einsatz. Nach 50 Sekunden setzt seine Stimme ein. Einfach nur WOW. Seht, hört … 

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Ich bin angefixt … von HAEVN. Was heißt das überhaupt? Wer sind die? Ein kurzer Blick auf deren Website … ich ordere beinahe blind die Vinyl von „Symphonic Tales“. Direkt bei denen, wohlgemerkt, und nicht bei dem kleinen, digitalen Trödellädchen von Jeff Bezos. 90,6 Milliarden Privatvermögen schienen mir ausreichend zu sein, um durchs Gröbste zu kommen.

Order-Nummer 1379 steht auf der Haevn-Bestätigungsmail.

 

Ein paar Tage später. Heimkommen im Dunkeln. Kirsten sitzt noch am Schreibtisch in unserem Verlag, im Erdgeschoss. Es war einer dieser „Frag mich nicht“-
Tage, wo Blicke ausreichen, um genau dies nicht zu tun. Das galt offensichtlich für uns beide. Kennt ihr diese Tage, wo man die Feierabend-Rotweinkelche deutlich über die „normale“ Einschenkhöhe flutet?

Auf unserem Meeting-Tisch liegt die herbeigesehnte Scheibe. Wohlverpackt mit einer „Let’s stay in touch“-Karte. Irgendwie findet die HAEVN-Vinyl den Weg auf den Pro-Ject-Plattenspieler, den Creative-Director Pierre entstaubt und auf unserer Werkbank platziert hat. Ich wecke zwei Bose-L1-Module aus dem Standby-Modus. Diese Soundsysteme scheinen auf den ersten Blick für unsere Räumlichkeiten etwas überdimensiniert – machen aber trotzdem Sinn, wie ich Kirsten versicherte. Was wäre denn, wenn wir adhoc Besuch von 400 Gästen bekämen und diese adäquat beschallen wollten?

Ernst zur Seite: Die Teile benötigen wir für unsere PLATZHIRSCH-Business- Sessions. Und zwischendurch haben wir halt den Ohrenschmaus im Parterre verfügbar. Ich setze die Nadel auf den Anfang der Scheibe – den Song mit dem Namen „The Sea“.

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Verhaltener Beginn. Die ersten Klänge erinnern an das Echolot eines Schiffes. Es ist das Zupfen an einer Harfe, wie das YouTube-Video später verrät. Der tiefe Bass der Bose lässt die Beine meiner Cargo-Hose flattern. Dann setzt die Stimme ein. Marijn van der Meer, the voice of HAEVN, steht gefühlt mittig vor uns. Die sanft-eindringlich-markante Stimme ordne ich in meine Schublade „Strong Voices“ ein. Darin befinden sich Menschen, die mit einer Stimme gesegnet sind, die ich niemals vergesse – ähnlich wie das Etikett eines guten Weins. Charaktere, deren Klangvolumen und -Farbigkeit so einzigartig sind wie ein Fingerabdruck.

Beinahe zeitgleich setzen die Streicher des 50-köpfigen Orchesters ein. Solist und Orchester gewähren sich gegenseitig so harmonisch den Raum, als wenn alle gemeinsam im Sandkasten groß geworden wären. Ich weiß, dass dies eine starke Verniedlichung der Professionalität dieser Musiker sein könnte. Ich bin aber nur laien-
leidenschaftlicher Hörer – der vornehmlich auf die Musik und nicht auf die Texte fixiert ist, wie Texthörerin Kirsten nicht müde wird zu betonen. Ich glaube, eine musikalischen Dramaturgie zwischen Einleitung, Hauptteil und Schluss dieser Komposition wahrzunehmen. Vielleicht bin ich damit aber auch allein unterwegs? Wer weiß das schon?

Beim Entkorken des überfälligen Rotweins küre ich „The Sea“ zu meinem persönliche Lieblingsstück, dicht gefolgt von meinem Anfix-Song „We are“. Was trinkt man eigentlich zu solchen Songs, zu diesem Album? „The Sea“ verbietet einen leichten Tropfen, der nur an der Oberfläche schippert. Ein abgrundtiefer Shiraz wäre ebenfalls unangemessen, weil die Melodik nicht an einen Tieftauchgang erinnert. Der Wein müsste irgendwo dazwischen eintauchen … begleitend … nicht störend – quasi die Wasseroberfläche und ein paar glitzernde Sonnenstrahlen noch sehend. Die ganzen Facetten, die ich glaube rauszuhören, das Feine, die Genialität … ich glaube, ein
Pinot Noir wäre das richtige Getränk. Gedacht – entkorkt. Ein Spätburgunder von Meyer-Näkel strömt in unsere Kelche.

Ich setze die Nadel noch mal auf die erste Rille. Bei der Passage „We sell our lives to the sea“ stoßen wir auf uns, unser Leben und das Meer an. Danke YouTube, danke Meyer-Näkel und ein ganz dickes Merci an HAEVN! Eure Rückennummer habe ich mir gemerkt. Ich fühle mich eingeladen zu einem Deep-Dive in eure Music, eure Story.

Der nächste Tag. Ich mache damit weiter, womit ich aufgehört habe … ein paar Stücke von HAEVN zum Wachwerden, ein paar Morgenseiten und dann rein in die Recherche. Hier der Extrakt:

Die Masterminds von Haevn …

… sind der Film-Soundtrack-Komponist und Keyboarder Jorrit Kleijne sowie der Singer-Songwriter Marijn van der Meer, Amsterdam/NL.

Das Geschenk eines Klaviers von seinem Großvater hatte großen Einfluss auf Jorrits Leben. Es war dieses Klavier, das ihn lehrte, sich durch Musik auszudrücken. Dieser Leidenschaft zu folgen, hat ihn dazu gebracht, eine Karriere als Filmkomponist zu verfolgen, Emotionen auf der Leinwand festzuhalten und sie in Filmmusik zu übersetzen.

Marijn war immer untrennbar mit seiner Gitarre verbunden. Selbst eine lange Krankheit, die ihn drei Jahre lang im Bett hielt, konnte ihn nicht am Spielen hindern. Diese Zeit ließ ihn die heilende Kraft der Musik entdecken und schätzen.

Die Story

Sie selbst bezeichnen es als eine freundliche Geste des Universums, dass Jorrit Marijn im Jahre 2015 vorgestellt wurde, damit sie die Leidenschaft des anderen für Musik und Geschichtenerzählen entdecken.

Sie verstanden schnell, dass Marijns beruhigende Stimme eine einzigartige Mischung mit Jorrits Instrumentalfarben bildete. In kurzer Zeit entwickelten sie einen starken, intuitiven „gesunden Menschenverstand“, um ihre eigene Musikwelt zu erschaffen. In diesem Universum, inspiriert von Künstlern wie Leonard Cohen, Bon Iver, Bruce Springsteen, Sting, Ray LaMontagne, aber auch Filmkomponisten wie Thomas Newman und Hans Zimmer, sind sie ständig auf der Suche nach Melodien, Farben und Texten, die sie trösten. Das Duo machte es sich zum alleinigen Zweck, sich mit ihrer Musik zu trösten.

Aus der Zusammenarbeit entstand eine kurze Version von „Where the heart is“, ein Lied, „in dem es darum geht, seinen Träumen zu folgen“, so die Musiker. „Der Song hat für uns eine besondere Bedeutung. Es ist der erste Track, den wir geschrieben haben, als wir endlich den Mut hatten, uns für ein Leben in der Musik zu entscheiden.“ Konkret bedeutete das: Jorrit legte seine bisherige Karriere als Komponist für Film und Werbung auf Eis. Der langjährige Hobbymusiker Marijn kündigte seinen gut bezahlten Job in einer Werbeagentur, um ein Abenteuer zu wagen, das „HAEVN“ heißen sollte – einem Wortspiel aus „Himmel“ und „Hafen“.

Ihre Debütsingle „Finding out more“, ursprünglich für einen BMW-Werbespot geschrieben, wurde unerwartet zu einem großen Radiohit.  „Radio-DJs riefen an und wollten den ganzen Song spielen“, erinnert sich Marijn. „Nur gab es den noch gar nicht. Also produzierten wir ihn.“

Um aus den 30-sekündigen Werbetracks vollständige Songs zu machen, holte sich das Duo Unterstützung von Tim Bran, dem Produzenten der britischen Band London Grammar, und der Sängerin Birdy. Die zweite Single „Bright lights“ wurde ebenfalls mit Tim produziert. Die Songs erreichten die internationalen Charts über Shazam.

2017 landete HAEVN mit „Fortitude“ den nächsten Treffer und sicherte sich einen Platz in der Netflix-Serie „Riverdale“. HAEVN wurde 2018 von der Warner Music Group unter Vertrag genommen. Aufgrund des Erfolgs der Band in Übersee wurde ihr Debütalbum „Eyes Closed“ am 25. Mai 2018 international veröffentlicht und erreichte Platz 1 der iTunes-Charts.

Im April 2019 erschien das Album  „Symphonic Tales“ unter der Mitwirkung eines 50-köpfigen Streichorchesters. Die buchstäblich himmlische Atmosphäre bei ihren Live-Shows ist vor allem der weichen, warmen Stimme von Sänger Marijn zu verdanken, die von Jorrits filmreifen Melodien getragen wird. Gemeinsam entwickelten sie sich zu Spezialisten für bebilderten Sound. Die logische Konsequenz: Im Februar 2020 wurde ihr Song „Where the heart is“ als neuer Song für eine Vodafone-Kampagne in Deutschland ausgewählt.

Beeindruckend

 Am 08.04.2020 haben wir HAEVN um ein paar Impressionen angefragt. 4½ Stunden später deren Reaktion:

Thank you for reviewing our vinyl Symphonic Tales. We are very glad you are going to write about it. Here are some photo’s. We also added a few photo’s from the recording session. Again, thanks for writing about us. 

Have a nice and sunny day, 

Marijn and Jorrit Verstuurd vanaf mijn iPhone 

Haevn -Live  

Wir wissen nicht, ob wir am 16.09.2020 unsere gekauften Tickets den Kartenabreißern am Eingang des „Yuca“ in Köln entgegenstrecken können … ob wir alle bis dahin den Spuk hinter uns gelassen haben … Was wir aber wissen ist, dass wir persönlich mit HAEVN auf Tour gehen werden!

Platzhirsch-Haevn-Tour

 Wir haben vor einiger Zeit beschlossen, den PLATZHIRSCH um eine Passionists-Kolumne zu bereichern: Stories über Menschen, die eine besondere Leidenschaft kultivieren. Den Auftakt sollte eine Vinyl-Story bilden, zu der wir mit einigen Protagonisten Vorgespräche geführt haben. Für den PLATZHIRSCH #3 wollten wir die folgenden drei Stationen nochmal ab-touren, um die Story der Charaktere rundzumachen und die passenden Bilderwelten einzufangen. Dann kam Covid-19 …

Wenn wir diese Phase überstanden haben, werden wir mit unserer „Symphonic Tales“-Vinyl auf Tour gehen. Wir werden unseren Freund Norman Voss in seinem Haus besuchen. Wir wollen wissen, wie die Scheibe auf der Anlage dieses audiophilen Vinyl-Freaks klingt.
Wir werden Harm Klomps bei Hanna Music auf der Nordstraße in Bocholt aufsuchen, dem Epizentrum für Vinyl-Fetischisten.

www.hannamusic.de

Harm wird uns zwei seiner Hardcore-Kunden vorstellen, mit dem Ziel, in deren Heiligtum vordringen zu dürfen. Bei Harms Schilderungen zu deren jeweiligen High-End-Settings bekam sogar mein Notizpapier eine Gänsehaut.

Apropos High-End: Ich kann es kaum erwarten, mit Kirsten gemeinsam Mikel Fraune von Analog & Highend in Steinfurt aufzusuchen, um „Symphonic Tales“  über dessen verschiedene Arrangements aus Röhrenverstärkern, Plattenspielern und Lautsprechern zu hören. In dem persönlichsten, sympathisch-skurilsten Hifi-Laden, den wir kennen.

www.analog-highend.de

Wir freuen uns auf ein physisches Wiedersehen mit tollen Charakteren und auf den Auftakt unserer Passionist-Story, die wir mit euch teilen werden!

 

 

Das Why für diese Story

Wir haben erfahren, dass unsere Interviewpartner ganz unterschiedliche Strategien entwickelt haben, um das Business-Tagesgeschäft hinter sich zu lassen, um runterzukommen und wirklich abzuschalten.  In ganz vielen Fällen ist uns Musik als Antwort begegnet. Sei es selbst gespielt oder gehört. Business braucht Balance. Musik scheint ein gutes und erprobtes Gegengewicht zum Geschäftsalltag zu sein – auch für uns. (rb)