Generosity-Marketing

von | 14, 05, 20 | WEINHEITEN

Eine Hommage an Antinori, Toskana

Weinheiten kann ich irgendwie besser abends schreiben. Ich weiß auch nicht, warum. Vielleicht, weil ich selten um 8:00 Uhr Gedankenbeschleuniger entkorke. Einen Weißwein um 11:00 hingegen finde ich okay … zumindest im Urlaub … an Feiertagen … an allen Wochentagen, wo einem nach Feiern zumute ist … 

Die ersten Skizzen zu dieser Story entstanden, wie so oft, in einer MindMap. Diese ist peu à peu gereift, wie ein guter Wein, um jetzt endlich abgefüllt, d.h. niedergeschrieben zu werden. 

18:43 Uhr … als ich mich an die ersten Zeilen mache, fällt mir auf, dass ich noch gar keine Headline habe. Was ist es denn, was mich so fasziniert an dieser Hauptstory und ihren Nebengeschichten? Was ist der zentrale Link, der diese Geschichten miteinander verbindet? 

Kurz bilanziert: GROSSzügigkeit und Gastfreundschaft. Fangen wir mit dem ersten Begriff an. Würdet ihr in einen Artikel mit diesem etwas bieder anmutenden Titel reinlesen? Wie wäre es, dem Anglizismen-Wahn im Business zu folgen? Knackige Übersetzung ins Englische, „Marketing“ angedockt … das kommt immer gut. Schwupp – fertig ist die Laube, sprich: Generosity-Marketing … wie oben geschrieben. 

Ich staune nicht schlecht, als ich die gerade ersonnene Wortschöpfung bei Google checke: 18.800 Treffer weltweit – keine einzige Fundstelle auf deutschen Seiten. Wieso wundert mich das nicht? Germanischer Gegencheck in der Suchmaschine: „Großzügigkeits-Marketing“ – es bleibt dabei, keine Ergebnisse im deutschsprachigem Orbit. Es scheint an der Zeit zu sein für diese Zeilen.

Die Wurzeln dieser Story

Auslösender Moment für diese Zeilen war ein Erkenntnis-Erlebnis im Frühjahr 2003. Alljährlich stand der Besuch auf der „Pro-Wein“ in Düsseldorf an, der Weltleitmesse für Weine und Spirituosen. Für mich eher „Weihnachten für Nase und Gaumen“ als ritualisierter Pflichtbesuch. 

Im Vorfeld wurde ich von einem Weinhändler mit zwei After-Show-Tickets für ein Antinori-Wine-Tasting bedacht. Einiger deren Weine kannte ich. Deren gefühlte Größe war eher unsexy für mich – aber irgendwie war ich neugierig. Gemeinsam mit meinem Freund Jürgen enterte ich gegen 19:00 Uhr ein Taxi, welches uns vom Messeausgang Ost zum Restaurante „Michele“ auf der Duisburger Straße in Düsseldorf kutschierte. Artig die Einladung vorzeigend, betraten wir die Lokalität. Kein Mensch, der uns zu einem Platz lotste – „free seating“ war das Motto. Wir belegten zwei Stühle an einer schlichten Holztafel. Acht weitere, noch unbekannte Gäste stießen innerhalb von wenigen Minuten hinzu. Wir Zufallsbekanntschaften musterten die gesamte Armada der Antinori-Weine, die in der Mitte des Tisches aufgebahrt waren. Irgendwie schienen sie uns die Korken entgegenzustrecken. Ein paar Korkenzieher verrieten uns, das hier möglicherweise Selbstbedienung angesagt war. Das Plöppen an den Nebentischen ermunterte auch unsere Tischgesellschaft, die Tropfen von ihren lästigen Verschlüssen zu befreien. 

Während wir und die gefühlten anderen 78 Weinhändler und -freaks sich verhalten an den Weinen bedienten und auf die offizielle Eröffnung des Tastings warteten, wurden durch emsiges Personal Bretter mit Parmaschinken, Pasta-Schüsseln, Lasagne-Formen, Salat-Bouquets und Pizzen in unkomplizierter Manier aufgetischt. Der Flair einer italienischen Familienfeier entfaltetete seine Wirkung. Die Krawattenträger lockerten ihre Strangulationswerkzeuge, Anzugjacken wurden lässig über Rückenlehnen drapiert, die Ärmel der feinen Hemden aufgekrempelt. Aus Peter zur rechten wurde Pioro und aus Franziska gegenüber wurde Francesca. Das Entkorken der Flaschen nahm an Lebendigkeit zu. Schüsseln und Teller machten die Runde. 

Ein kurzes Gläser-Anschlagen stoppte die Geräuschkulisse. Anton A. Rössner, der Geschäftsführer vom Weinland Ariane Abayan GmbH, erhob sich zur kürzesten Rede, die ich bis dato im Business-Kontext erlebt habe: „Buon Appetito!“ war die einzige Botschaft des Gastgebers dieser Veranstaltung. Keine Floskeln, keine Infos über die Weine … einfach den Dingen ihren Lauf lassend. 

Wir teilten herrlich unkomplizierte Speisen, grandiose Weine und unsere Geschichten zu den Antinori-Tropfen – mit den mittlerweile bekannten Fremden am Tisch und an den Nebentischen. Als der größte Hunger gestillt zu sein schien, ertönten quasi aus dem Off die Gitarrenklänge eines wohl bekannten Italo-Gassenhauers. Cheffe „Michele“, Koch und Betreiber dieser Institution (was wir damals noch nicht wussten), schlenderte mit einem Headset aus der Küche und stimmte mit seiner durchdringend-markanten Stimme „Volare“ an. Wer das gerade nicht zugeordnet bekommt, hier die Version von den Gipsy Kings.

Wow … meine Gänsehaut befand sich im Einklang mit der augenscheinlichen Begeisterung der anderen Gäste. Aus einer anderen Ecke des Raumes kletterte die ziemlich hübsche Lady, die vorher noch die Pasta serviert hatte, tanzend auf einen der Tische und stimmte in das Volare ein. Der ersten Strophe folgte ein keckes „Was ist los mit euch, wisst ihr nicht, wie man feiert?“ Im Nu standen 80 Menschen klatschend, tanzend auf den Tischen, um Teil dieses La Dolce Vita-Momentes zu sein. 

Als ich am nächsten Morgen immer noch beseelt vom Erlebten die Augenlider anlupfte, war meine erste Frage: „Was war das denn für eine Nummer? Sollte das wirklich ein Tasting gewesen sein? Ist der Moderator krank geworden, oder was?“

Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich das Geschehene verstanden habe – oder sagen wir: geglaubt verstanden zu haben. Wir hatten mit fremden Menschen am Tisch unsere Geschichten zu den Weinen geteilt, genossen, gesungen und getanzt. Mir wurde bewusst, wie tief sich das Label Antinori in meine Synapsen eingegraben hat. Da ist eine emotionale Bindung entstanden, von einer Qualität, die kein klassisches Wine-Tasting jemals erzeugen könnte – ich weiß, wovon ich spreche.

Irritation

Diese Verbundenheit zu Antinori hält bis heute an. Wenn ich auf einer Weinkarte in einem Restaurant, bei einem Händler oder wo auch immer einen ihrer Weine erspähe, verblassen alle anderen Gewächse drumherum. 

Ich finde das faszinierend und erschreckend zugleich. Ich bin werbungstechnisch schwer zu erreichen – behaupte ich, glaube ich auch wirklich. Mich begeistern eher kleine Manufakturen als große Marken. Gerade bei den Weinen bin ich stetig auf der Suche nach Garagen- und Boutique-Wineries mit ganz kleinen Abfüllmengen. Da, wo Besitzer und Winemaker noch ein und dieselbe Person sind. Mir geht das Herz über, wenn ich an den 2009-er Cabernet-Franc von unseren südafrikanischen Freunden und WineMakern Jacoline & Johan Haasbroek denke. Von dem wurden gerade mal 900 Flaschen (also der Inhalt von drei Barrique-Fässern) erzeugt. 

Diesen Hang zu WinePassionists und ihren raren Tropfen blendet mein Großhirn beim internationalen Mega-Imperium Antinori vollends aus. Wie konnte das passieren? Wie kann es sein, dass ich zu einem bekennenden Fan dieser Weindynastie geworden bin und zu deren Botschafter mutierte? Zwar leise, aber nicht ohne ein Stückchen sanfter Penetranz.

War es die Kombination von Wein & Speise, die dieses Unternehmen lebt (und für die ich extrem empfänglich bin)? Deren Kochbuch „Cantinetta Antinori“ – zu Tisch in der Toskana – über das ich bei meinen neugierigen Recherchen gestolpert bin? (Dessen Rezept für gefüllte Zucchini ich nahezu 1:1 übernommen habe – was relativ selten vorkommt.) Deren ungewöhnlicher Schritt, ein Pop-up-Restaurant (auf Zeit) in New York zu eröffnen (was im Jahre 2012 noch nicht sehr trendy war – schon gar nicht für ein sehr tradiertes Unternehmen)? Das alles war richtungsweisend, aber den finalen Kick vom Angefixt-Sein zur Abhängigkeit habe ich 2014 erfahren dürfen. 

Zu Gast in der Toskana

Die Organisation einiger Wein-Events hatte die Bande zum Weinland Ariane Abayan, dem General-Importeur von Antinori-Weinen, enger werden lassen. Im Rahmen eines Tastings in Düsseldorf bekamen wir von unserem Ansprechpartner Gianni Vasarri die Offerte, an einem ambitionierten Kurz-Trip in die Toskana teilzunehmen: Sechs Antinori-Weingüter in drei Tagen. Private Tastings auf meinem Lieblings-Antinori-Weingut Guado al Tasso, dem Super-Tuscan Tignanello, Castello della Salla, etc. Einmalige Möglichkeiten, die das Herz eines Wine-Freaks mächtig ins Wummern brachten. 

Kurzum: Es wurde ein gigantischer Trip mit insgesamt acht Weinnasen – Weinhändlern aus Hamburg und Bremen sowie uns – der sich unauslöschbar in unseren Gedanken eingegraben hat. Aus dem Angefixt-Sein hat sich eine belastbare, emotionale Beziehung entwickelt. Gepaart mit einer Mischung aus Faszination und Respekt. 

Die drei Tage waren genussvoll, aber auch sehr komprimiert. Am Ende des Trips stand die Erkenntniss, dass dieses Imperium menschlicher und nahbarer ist, als man das aus der Distanz vermutet. Jeder der von uns besuchten Weingüter ist schwer als Teil der Antinori-Familie zu identifizieren. Kein Einheits-Label-Wahn. Keine egomanen Allmachts-Phantasien-Prunk-Symbole im Castello della Salla, Guado al Tasso, Tignanello, La Braccesca, Aldobrandesca. 

Die einzige Gemeinsamkeiten, die wir dort ausmachen konnten, waren die herausragende Qualität der Weine und die Gastfreundschaft der Menschen, die uns dort beherbergt und bewirtet haben. Beim Schreiben blicke ich immer wieder auf unsere eingefangen Impressionen auf meinem linken Monitor – Gänsehaut mit Ansage. 

Unvergessen die Momente, inmitten der Weinberge meines Lieblingsweines Guado al Tasso zu stehen, angelehnt an die Rebreihen unseres Geburtsjahr, und abends mit dem WineMaker und dessen Lady herrliche, einfache Speisen und Geschichten über den Wein zu teilen. Vornweg gab es Salami und Schinken und dann Tranchen vom T-Bone-Steak mit den Hauptdarstellern, den Flagship-Weinen des Weingutes. Ich dreh´ gerade durch bei den Gedanken an das Kaninchen, welches im fulminanten Süßwein Muffato della Sala geschmort wurde. Da bekommt sogar mein Gaumen eine Gänsehaut. 

Unvergessen ebenfalls unsere Einfahrt in die im Jahre 2012 neu errichteten Nuova Cantina Antinori in Bargino – dem auffällig-unauffällig in den Weinberg eingelassenen Antinori-Headquarter: 5.315 Menschen haben dieses 40.000 Qudratmeter große Monumental-Kunstwerk mit dem Weinberg verschmolzen. 85 Millionen wurden in dieses architektonische Wein-Denkmal investiert. 

Wenn ihr ein Gefühl dafür bekommen wollt, warum man hier den Puls der Leidenschaft zum Wein ziemlich laut wummern hört, gönnt euch diese zwei Minuten und elf Sekunden:

www.antinori.it/de

Wir haben dort in den schwebenden Glaskanzeln über dem Fassweinkeller gesessen, die Villa-Antinori-Linie verkostet und die Story der Antinoris aufgesogen. Die Wurzeln dieser Wein-Dynastie reichen zurück bis in das Jahr 1385.

Beseelt durch das Tasting war das Stöbern in derem Stammbaum echt spannend. Ich glaubte auch einen Link zu meinen Vorfahren gefunden zu haben. Leider war Marchesi Piero Antinori nicht zugegen, um das zu klären. Wohl aber seine Tochter Alberia Antinori, die inzwischen das Familienerbe angetreten hat – in der 27-sten Generation.

„Im Weinbau hat ein Familienunternehmen bedeutende Vorteile. Entscheidungen werden immer im
Hinblick auf die nächste Generation getroffen.
Der lange Atem gibt Ruhe und Kraft. In Aktiengesellschaften sind fünf Jahre schon ein weiter Horizont, und was zählt, ist die Bilanz am Ende des Jahres.“  
Alberia Antinori

„Was erwirtschaftet werden kann, wird in den Betrieb investiert, um ihn zu stärken.“  Piero Antinori

Es scheint, als wenn in der Nuova Cantina Antinori ein Großteil des in über 635 Jahre angewachsenen Familienvermögens seine Bestimmung gefunden hat. Ein Meilenstein in diesem Family-Business. Neben Alberia gibt es noch die Töchter Allegra und Alessia. Gemeinsam führen sie als „Triple A“ das Vermächtnis fort.

Für diejenigen von euch, die tiefer einsteigen wollen … weitere Infos zu den Antinori findet ihr in diesen Artikeln:

www.edsworldwines.ch

www.reisememo.ch/

Nach all den besuchten, zweifellos kleineren, gemütlicheren Antinori-Weingütern waren wir erschlagen von diesem Bauwerk. Wir waren vollkommen irritiert angesichts des sichtbaren Invests und den gigantischen Ausmaßen der Nuova Cantina Antinori. Und trotzdem gewann die Sympathie wieder die Oberhand. Warum? Weil auch hier an vielen Stellen das Family-Business spürbar ist – das klare Bekenntnis und die Liebe zur Region. Weil sich auch hier die Gastfreundschaft fortführte, die wir zuvor so genossen hatten. Die machen da einfach mal einen verdammt guten Job. 

Auf unserer Bucket-List stand für dieses Jahr eine Landy-Tour in die Toskana. Auf die Spuren von Michelangelo und Leonardo da Vinci wollten wir uns begeben – in kulinarisch-vinologischen Etappen. Ein Revival unseres Antinori-Trips aus 2014 war fest verankert in unserem Plan. Da hat Covid-19 einen Delay reingebracht – nicht jedoch in unsere Leidenschaft für diese Weine. Wenn diese Zeilen zu Ende geschrieben sind, schreibe ich eine Mail an Gianni Vasarri, unseren 

Antinori-Weindealer. Wir werden die Homing-Phase nutzen, um unsere Erinnerungen mit den passenden Weinen aufzufrischen.

Wichtig erscheint mir der Hinweis, dass wir weder vom Weinland Ariane Abayan GmbH noch von Antinori für diesen Artikel bezahlt oder subventioniert werden. Es ist einfach ein schriftliches Danke für unvergessene Momente.

Grazie, Thanks, Danke …

Wo ich gerade dabei bin, ich sage auch gerne DANKE an Ralf Bos, der mich Ende der 90-er für frische Trüffel angefixt hat. Auch hier war die „Pro- Wein“ der Tatort. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es an einer Verkostungsfläche von Mondavi-Weinen (Kalifornien) war. Ralf stand dort und zog frische Nudeln durch einen ausgehöhlte Parmesan-Laib. Darüber hobelte er frische Trüffel und bot mir mit einem Lächeln und „Bitte, probier mal“ eine Portion an. Seitdem ist es um mich geschehen, was die Begeisterung für Trüffel angeht und letztendlich auch für den Unternehmer Ralf Bos, der inzwischen von den Szene-Gazetten als „Deutschlands Trüffelkönig“ betitelt wird. Jeder Genussempfängliche, der auf dessen Website surft, bekommt nervöse Finger. www.bosfood.de

Wir verstehen uns als echte Verfechter von BUY LOCAL – aber in unserer Region scheinen die Trüffel sehr tief vergraben zu sein.

Apropos Mondavi: Thanks an die Menschen von Robert Mondavi, die mich Teil eines legendären Blind-Tastings haben sein lassen, wo deren Opus One und der Private-Reserve sich gegen so legendäre Bordeaux wie Château Margeaux und Château Lafite-Rothschild behauptet haben.

Grazie an Alois Lageder, der mich anlässlich eines Tastings auf der „Pro-Wein“ spontan zu einem Fackelschein-Tasting-Event auf Casòn Hirschprunn in Magreid eingeladen hat.

Wenn ich so in meine Erinnerungen abtauche, ich glaube, ich könnte ein eigenes DANKE-Magazin mit ähnlichen Momenten füllen. Dabei geht es nicht immer nur um Wein. Es geht um die Gestaltung von emotional-aufgeladenen Momenten, wo das Genießen dieses Momentes im Fokus steht, und nicht das Auslösen einer unmittelbaren Kaufentscheidung. Wo die Menschen, die Unternehmen sich aktiv als herzliche Gastgeber präsentieren. Wo man nicht das Gefühl hat, Objekt einer gönnerhaften Pflichtveranstaltung zu sein.

Wenn man diese Kunst beherrscht – und das tun die zuvor genannten Personen und Unternehmen – dann bindet man keine Kunden … man macht es seinem Gegenüber leicht, als Influencer zu agieren.

Jetzt geht es an die Auswahl der Antinori-Weine. Vielleicht sollten wir uns auch einen Trüffel gönnen in dieser zwangsverordneten, absolut notwendigen Home-Dining-Zeit? Zuvor jedoch telefonieren wir mit unseren lokalen italienischen Gastronomen. Auch hier gilt #buylocal und #pushgastronomie. Wenn wir diese Episode überstanden haben, werden wir auch das Riva in Düsseldorf besuchen, welches der Volare-singende-Koch Michele Salamone inzwischen betreibt. (rb)