Radikal Digital

von | 13, 05, 20 | ALLGEMEIN

Wie sich das Leben in unserem Verlag innerhalb von
24 Stunden komplett veränderte

Prolog

Der PLATZHIRSCH ist eines von drei Magazinen unseres MÜ12-Verlages. Begonnen hat alles im Jahr 2000 mit dem Monatsmagazin PAN. Bislang gab es 243 Ausgaben ohne Unterbrechung. Der PAN war ursprünglich als Veranstaltungskalender konzipiert. Über die 20 Jahre hat der PAN sich zu einem Lifestyle-Magazin gemausert – im Kern immer noch die Veranstaltungen für die Region. 

Seit dem 8. Mai 2018 (unserer Entscheidung, den PLATZHIRSCH zu verlegen), haben wir intensiver als zuvor mit digitalen Tools experimentiert. Wir wollten die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, um unsere Arbeitsabläufe zu vereinfachen, unsere Zusammenarbeit noch geschmeidiger zu machen. In den zurückliegenden Tagen haben wir uns gegenseitig mehrfach verbale „Fleißkärtchen“ verliehen, für unsere Experimentierfreude in den letzten 24 Monaten. Wer konnte ahnen, dass unser Mutter-Magazin PAN von jetzt auf gleich keine Veranstaltungshinweise mehr in die Region tragen kann? Dass seiner ursprüngliche Mission derzeit die Relevanz entzogen wurde? Woher sollten wir wissen, dass unsere hochwertigen Magazine mit ihrer außergewöhnlichen Haptik innerhalb von wenigen Tagen ein mögliches Virenübertragungs-Risiko darstellen?

 Im PLATZHIRSCH #2, den wir am 27.September 2019 in die Aussendung bzw. Verteilung gebracht haben, schrieben wir noch leidenschaftlich vom Reiz dieser ANALOGITALEN Ära. Den Möglichkeiten, zwischen der analogen und der digitalen Welt switchen zu können.
Seit dem 17. März 2020 wissen wir, dass wir den Herausforderungen, die COVID-19 mit sich bringt, nur RADIKAL-DIGITAL begegnen können. 

Wir nehmen euch mit auf eine Zeitreise durch die jüngsten Ereignisse und unsere Erfahrungen im Verlag MÜ12. Möglicherweise befindet ihr euch in ähnlichen Situationen? Vielleicht ist das eine oder andere digitale Tool, ein Teil unserer Erfahrungen, auch für euch interessant – für eure Arbeit, für euer Leben?

 

DIE COVID-19 TOOLBOX

www.doodle.com

zoom.us

www.mindmeister.com

www.meistertask.com

www.nextcloud.com

Sonntag, 08. Dezember 2019
Erste Symptome von Erkrankungen in Wuhan/China werden bekannt.
Mehrere der Erkrankten arbeiteten auf einem Großmarkt für Fische und Meeresfrüchte, auf dem aber auch andere Tiere wie etwa Ratten, Krokodile, Schlangen und vor allem auch Larvenroller angeboten wurden. Diese Schleichkatzen sind in China eine Delikatesse, von der vermutlich der Erreger der gefährlichen Lungenkrankheit Sars stammt.

Dienstag, 31. Dezember 2019
Offizielle Meldung Chinas an die WHO.

Dienstag, 07. Januar 2020
Die Weltgesundheitsorganisation erkennt die Bezeichnung „SARS-CoV-2“ für das neuartige Coronavirus offiziell an, und die Krankheit wird „COVID-19“ benannt.

Montag 13. Januar 2020
Erster Fall außerhalb Chinas.

Montag, 20. Januar 2020
Bestätigung der Übertragung von Mensch zu Mensch. 

Montag, 27. Januar 2020
Bestätigung des ersten Falls in Deutschland.

Donnerstag, 30. Januar 2020
Die WHO deklariert eine gesundheitliche Notlage von internationaler Reichweite. 

Anfang Februar 2020
Wir nehmen zum ersten Mal persönlich wahr, wie weitreichend die Konsequenzen sein können. Aufgrund der Corona-Informationen über die Medien sagen wir die geplante Teilnahme an einer Konferenz in Namibia ab und verschieben unsere anschließende Südafrika-Reise in den November. Wir sind grundsätzlich nicht leicht zu erschüttern – aber man muss die Gefahr ja nicht zwingend suchen.

Dienstag, 11. Februar 2020 
Die zuvor genannte Konferenz wird zehn Tage vor dem geplanten Veranstaltungsbeginn abgesagt.

Donnerstag, 20. Februar 2020 
Wir feiern leise einen „merk-würdigen“
Geburtstag und stoßen am 20-02-2020, um 20:20 Uhr in trauter Dreisamkeit auf uns, das Leben und die Menschen an, die unser Leben ausmachen.
Das war eine bewusste Entscheidung, um dieses besondere Momentum ganz intensiv und bedächtig zu erleben. Nicht wissend, dass wir alle (Stand heute) unsere Geburtstage auf unbestimmte Zeit ähnlich feiern werden und sollten.

Freitag, 21. Februar 2020
In Norditalien wird ein erheblicher Anstieg von COVID-19-Fällen verzeichnet. Gleichzeitig melden viele andere EU-Mitgliedstaaten Fälle von infizierten Personen.

Donnerstag, 05. März 2020, 07:30 und 19:00 Uhr 
Wir besuchen zwei Veranstaltungen in Bocholt. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnten, dass es für viele und für uns die vorerst letzten Veranstaltungen sein werden. 
Die Menschen, die wir dort treffen, sind größtenteils irritiert und verunsichert. Es werden nur noch vereinzelt Hände geschüttelt. Die Stimmung ist eine Melange von „wird schon nicht so schlimm werden“ bis „das wird uns schwer treffen“.

Mittwoch, 11. März 2020 
Die WHO erklärt den Ausbruch zur Pandemie. 

Freitag, der 13. März 2020, 08:30 Uhr
Unsere „normale“ Redaktionssitzung erklären wir zur Task-Force. Tenor: „Die Einschläge kommen näher – wie gehen wir mit der neuen Lage um?“

Wir ziehen in Erwägung den PAN möglicherweise erstmals ausschließlich digital zur Verfügung zu stellen. Dieser Gedanke fühlt sich für jeden von uns „Print-
Fetischisten“ (noch) fremd an.

 Sonntag, 15. März 2020, 11:30 Uhr 
Ein Mitglied unseres Teams zeigt Symptome, die typisch für eine Infizierung mit COVID-19 sein könnten. Eine unverzügliche Testung wird um 11:30 Uhr durch das DRK durchgeführt. Entscheidung: konsequentes #stayathome. 

Montag, 16. März 2020, 08:30 Uhr
Wir haben tolle Räumlichkeiten in unserem Verlag auf der Münsterstraße 12, und wir lieben es, darin zu arbeiten. Wir können aber schlecht damit umgehen, dass diese schöne Location „Tatort“ einer unbedachten Übertragung sein könnte. Zudem steht zu erwarten, dass sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um das kümmern müssen, was gerade wichtiger ist als unser gemeinsames Tagesgeschäft – den Schutz ihrer Familien. Wir treffen die Entscheidung: Homeoffice für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlages.

Wir prüfen die technische Realisierung und setzen die Maßnahme unmittelbar und konsequent am gleichen Tag um. Wir starten die erste Doodle-Umfrage, um den optimalen Zeitpunkt für die erste Videokonferenz zu fixieren. Das ist notwendig, weil sich verändernde Abläufe in den Familien nicht mit einem 9-to-5-Job vereinbaren lassen.

Dienstag, 17. März 2020,  11:00 Uhr
Die Türen zu unserem Verlag und der Agentur sind verschlossen. Wir haben finanzielle Krisenszenarien mit unserer Steuerberatungskanzlei und unserer Hausbank andiskutiert. Wir setzten uns damit auseinander, dass die eigenen Reserven eine kürzere Reichweite haben könnten, als das Ende dieser Krise. 

Wir starten unser erstes virtuelles Meeting via Zoom-Konferenz. 

Die ersten acht Minuten gehen dafür drauf, die verständlichen Anlaufschwierigkeiten mit einem untrainierten Tool zu beseitigen. Danach haben alle Teilnehmer Bild und Ton auf ihren Endgräten (Mac, iPad, iPhone, etc.). Das eigentliche Meeting kann beginnen. Wir kommen zu dem Ergebnis: Die Realität verdrängt die Denk-Romantik, den PAN analog und digital auszusenden. Radikal-Digital ist der einzig denkbare Weg, den PAN unterbrechungsfrei zu verlegen. Entscheidung: Der April-PAN wird ausschließlich als digitale Ausgabe (interner Arbeits-Titel „Corona-Edition) konzipiert, bereitgestellt und versandt. 

Wir bestärken uns gegenseitig mit dem Statement: „Menschen lieben Geschichten – das wird sich auch durch Digitalisierung nicht ändern.“ Daraus resultiert die Haltung: Wir stehen mit unseren Texten, unseren Bilderwelten, unserer Grafik für gute Geschichten und deren Sichtbarkeit.

Sich ergebende Fragen: Wie arbeiten wir auch auf Distanz effektiv zusammen? Wie können wir gewährleisten, dass jeder aus seinem Homeoffice auf die gleichen Daten zugreifen und damit arbeiten kann? 

First Step: Der Austausch und das Ablegen von Daten erfolgt nur über Nextcloud.

Das virtuelle Brainstorming zur April-
Ausgabe erfolgt mittels der Online-Mind-Mapping-Anwendung MindMeister. Jeder hat die Möglichkeit, seine Ideen zu dieser Ausgabe live und zeitgleich mit den anderen Teammitgliedern auf einer digitalen Arbeitsoberfläche einzubringen. 

Dienstag, 17. März 2020, 13:58 Uhr 
Das Testergebnis des Teammitglieds vom DRK liegt vor: negativ. Kollektives Aufatmen – via WhatsApp. 

Mittwoch, 18. März 2020, 11:00 Uhr 
Zoom-Meeting mit dem Team, mit neuem Sachstand: Große Teile des Einzelhandels, der PR-Kunden des PANs sind aufgefordert, die Geschäfte zu schließen. Konsequenzen für uns: 85% unserer Auslagestellen sind derzeit für die Leserinnen und Leser des PAN nicht erreichbar. 1.500 PAN-Exemplare, die normalerweise in Warte-zonen bei Ärzten, etc. ausliegen, dürften als mögliche Virenträger unangetastet und ungelesen dort liegenbleiben.

Die ersten Stornierungen und Anzeigen-
delays aus der Mitte unser Einzelhandelskunden haben uns erreicht. Mit weiteren Umsatzeinbußen ist (verständlicherweise) zu rechnen.

Entscheidung: Wir sind Netzwerker. Wir nutzen unser Netzwerk, unsere gewachsenen persönlichen Kontakte, um unsere
Online-Reichweite exorbitant zu vergrößern.

Donnerstag, 19. März 2020, 18:00 Uhr 
Unser erstes Zoom-Meeting mit dem Team Vertrieb. Entscheidung: Akquise auf ein notwendiges Maß beschränken, um Umsatzverluste zu minimieren. Maßnahmen der Neukunden-Akquise werden in den Mai verlagert. Viele unserer Kunden werden die Irritations- und Chaosphase noch nicht überwunden haben. Wir lassen die Menschen in Ruhe, damit sie erst einmal ihre Dinge regeln können. 

Wir konzentrieren uns auf die größtmögliche digitale Verbreitung des April-PAN. (Ganz nebenbei: „Virale Verbreitung“ wurde durch die Wording-Queen in unserem Team zum Un-Wort des Jahres erklärt.) 

Absprachen: Unsere zertifizierte Social-
Media-Managerin entwickelt eine Konzeption zum digitalen Rollout. Wenn der PAN wie gewohnt am Ende diesen Monats fertig gestellt ist gehen wir in die digitale Verteilung. Wir haben mit vielen „Reichweiten-Big-Playern“ auf Facebook in der Region Kontrakte geschlossen. Wir werden mit dem PAN-ePaper April eine Erreichbarkeit von rund 90.000 Abonnenten generieren können.

Alle zukünftigen Magazin-Projekte und deren Ausgaben werden auf MeisterTask-Boards visualisiert. Wir haben gelernt, wie einfach und transparent sich die gemeinsame Arbeit im Vertrieb gestaltet, wenn wir cloud-basiert von jedem Endgerät den aktuellen Status des jeweiligen Magazins abrufen können. 

 

Freitag, 20. März 2020, 08:51 Uhr 
Unsere bisherige Erkenntnis: Die Fülle der Informationen, der Absprachen, der sich überholenden Themen erfordern einen schriftlich fixierten Kurs, um gemeinsam auch aus unterschiedlichen Häfen (den Homeoffices) das richtige Ziel anzusegeln. Das „Logbuch“ (eine reduzierte Leitlinie) zum PAN April 2020 wird via WhatsApp an unser gesamtes Team gesteuert. 

 

Freitag, 20. März 2020, 18:00 Uhr 
Zoom-Meeting mit der Bilanz des Tages: Die bisherigen Reichweiten-Kooperationen ergeben mit unseren bisherigen Abonnenten und Followern eine absolute Zahl von 118.414 (inkl. möglicher Überschneidungen). 

Laut unserer Instagram-affinen TrendScoutin gibt es im hiesigen Raum (noch) keine Instagram-InfluencerInnen mit nennenswerten Reichweiten. Entscheidung: Wir werden die vor uns liegende Zeit nutzen, um unsere Performance in dem Bereich zu verfeinern und auszubauen. (rb)

Mittlerweile wurde auch die MAI-Ausgabe des PANs ausschließlich digital verteilt.