Schlüsselübergabe bei Geukes Maschinenbau in Bocholt …

von | 18, 03, 20 | ALLGEMEIN

…und was ein Notenschlüssel damit zu tun haben könnte.

Eine Best-Practice-Story zum Thema Unternehmensnachfolge.

Einblicke in die Vita der beiden Protagonisten:

Thomas Terodde

aus dem grandiosen Baujahr 1963, grandios zumindest was den Jahrgang beim Portwein angeht. Okay, ich als Schreiber bin da ein wenig befangen, sowohl, was das Geburtsjahr, als auch den Portwein angeht. Der letzte Punkt ist für Herrn Terodde nicht ganz so wichtig, weil er lieber zum Frischgezapften greift. In diesem Termin stehen aufgrund der Hitze Wasserflaschen und Gläser auf dem Tisch. Vor Herrn Terodde steht ein Bayern-München-Glas, was den Sympathiewert nach oben schnellen lässt. Beim Nachbohren stellt sich heraus, dass ich exakt fünf Tage älter bin, was Herrn Schäfer auch spontan aufgefallen war, rein optisch. Ich sollte mich künftig vor jedem Interview frisch rasieren. 

An das Abitur schloss sich für Thomas Terodde eine Lehre als Schlosser und eine Festanstellung bei der Flender AG an. Während dieser Zeit absolvierte er die Prüfung zum Industrie-Meister. Eine Fußballverletzung zwang ihn nach neun Jahren, seinen stehenden Job aufzugeben. Danach leitete er mehrere Jahre eine Handelsagentur seines Vaters, der sich mit einer einzigen Werkbank in der eigenen Garage ein zweites Standbein aufgebaut hatte. Die Firma ABZ Terodde expandierte und fand schließlich ihren Sitz im Industriegebiet in Bocholt. Sein Vater und er hatten damals schon viel mit der Firma Geukes zusammengearbeitet. Herr Geukes trat im Jahre 1994 im Alter von 63 Jahren an Terodde Junior und Senior heran, mit dem Angebot der Übernahme des Unternehmens Geukes.

Dr. Gereon Schäfer

Baujahr 1960, aber aus dem Dezember, wie er betont. Was ihn kolossal jünger wirken lässt. Gereon Schäfer hat in Essen an der Folkwang-Hochschule Musik studiert und im Bundesjugendorchester musiziert. Dem ist er ein wenig entwachsen, aber extrem spannend, was sich am Ende des Interviews daraus noch ergeben hat. Die Schulzeit war neben der Musik geprägt von Neigungen für Mathematik und Naturwissenschaften. Diese Talente wurden während des Musikstudiums nicht abgerufen. Die Vision als Berufsmusiker verlor damit an Reiz, was nach zwei Semestern der Orchestermusik auch bei ihm für eine Neuausrichtung sorgte. Ein breit aufgestelltes Studium mit einem hohen Technik-Anteil sollte es werden. Damit fiel die Entscheidung für ein Studium der Eisenhüttenkunde (heute Werkstoffkunde) in Aachen, mit erweiternden Wahlfächern im Bereich Maschinenbau. Gereon Schäfer ist gelernter Schweiß-Fachingenieur, der auch heute noch eine Schweißnaht zu beurteilen weiß. 

Nach dem Studium kam das Angebot, sich im Rahmen einer Doktorarbeit mit dem Thema Organisation in einem Hüttenwerk von Thyssen zu beschäftigen. Damals (1989) schon unter der Einbeziehung von künstlicher Intelligenz, also die Nutzung von KI zur Produktionsplanung. 1992 erfolgte der Einstieg von Gereon Schäfer in den Krupp-Konzern, als Leiter des technischen Stabes der Krupp-VDM. 

1995 wechselte er in die Krupp-Automobilzuliefersparte zu Bilstein (Stoßdämpfer). Seine Aufgabe bestand darin, einen neuen Produktionsstandort in Mittel- und Osteuropa zu suchen. Mit dem Vorstand der Krupp-Automotive erfolgte die Entscheidung, in Hermannstadt (Rumänien) ein Joint-Venture zwischen Bilstein und einem lokalen Produzenten zu gründen. Gereon Schäfer war für den Aufbau und die anfängliche Leitung dieses Standortes verantwortlich, der heute noch BMW, Mercedes, Jaguar, etc. beliefert. Danach übernahm er im Grillo-Konzern die Leitung des Unternehmens Fränkischer Maschinen- und Stahlbau in Gochsheim, das dem Unternehmen Geukes sehr ähnlich war. Seine letzte Station waren 17 Jahre Aufgaben im Top-Management in der Möbelzulieferindustrie, bei der Surteco SE mit 3.500 Beschäftigten. 

Gereon Schäfer war seit der Gründung des Bilstein-Werkes in
Rumänien immer Geschäftsführer, Generalbevollmächtigter und
später dann Vorstand von Unternehmen – aber immer als angestellter Unternehmer, wie er betont. Ein entscheidendes Motiv für ihn, die
Firma Geukes als selbstständiger Unternehmer zu übernehmen … 

#01 Herr Terodde, wie war das damals konkret mit Ihrer Übernahme der Firma Geukes?
Mein Vater und ich haben uns beraten und Mitte 1994 Herrn Geukes ein konkretes Angebot gemacht. Der Entscheidungsprozess bei Herrn Geukes nahm dann noch einige Zeit in Anspruch. Am 03.10.1995 hat er dann unser Angebot angenommen, mit der Forderung, das Ganze bis zum Ende des Jahres 1995 abzuwickeln. Das war dann ein engagiertes Zeitfenster für uns, diese Geschichte zu stemmen.

Letztendlich habe ich dann am 02.01.1996 die Firma Geukes übernommen. Es war der besagte Sprung ins kalte Wasser für mich. Mit den damals 30 Beschäftigten hatte ich zwar nur etwa ein Prozent von dem Verantwortungsbereich von Herrn Schäfer, aber für mich war Personalverantwortung absolutes Neuland, genauso wie die Führung eines eigenen Unternehmens. Ich habe mir über einen Zeitraum von einem Jahr angeschaut, wie der Laden Geukes läuft. Ich wollte verstehen und nicht sofort eingreifen.

Das kommt mir bekannt vor, das habe ich schon mal irgendwo gehört.
(Schmunzeln am Tisch, weil dies auch die Worte von Herrn Schäfer in unserem Erstkontakt waren.)

Ich habe dann mitgearbeitet, auch um die Struktur, die Prozesse zu erkennen. Wir hatten das Pech, dass nach fünf Monaten der damals beste Kunde Insolvenz angemeldet hat. Damit waren nicht nur 166.000 DM weg, wir saßen auch auf Maschinenteilen, die in der Produktion waren, im Wert von noch einmal 70.000 DM. 

Diese Misere haben wir meistern können, auch mit Hilfe der Banken, die uns vertraut haben. Und so haben wir uns entwickelt. Die Devise meines Vaters war, immer behutsam zu investieren, sprich: gebrauchte Maschinen zu kaufen, um zu produzieren. Das ist grundsätzlich gut. Ich habe aber 2003 einen anderen Weg eingeschlagen. Wir haben angefangen, neueste Technik anzuschaffen und alte Maschinen zu ersetzen. Ich wollte immer am Ball bleiben, um beste Qualität liefern zu können.

#02 Was war denn Ihr Motiv zu sagen, jetzt ist´s gut gewesen, jetzt verkaufe ich?
Mein Ziel ist es immer gewesen, mit 55-60 Jahren aufzuhören. Das habe ich auch in jungen Jahren schon so gesagt. Ich habe immer sehr viel gearbeitet, auch früher schon. Als ich bei Flender Nachtschichten gemacht habe, war ich um halb sieben im Bett und bin um zehn Uhr aufgestanden, um für meinen Vater zu arbeiten. Dazwischen habe ich noch meinen Meister gemacht. Und so habe ich mit 52 Jahren damit begonnen, mir Gedanken zu meinem Ausstieg zu machen. 

#03 War das der alleinige Grund?
Überwiegend. Wobei ich ehrlicherweise sagen möchte, dass mich die beiden letzten Jahre ein wenig mürbe gemacht haben. Auf uns Unternehmer wirken immer mehr äußere Einflüsse. Da kam in mir das Gefühl hoch, dass es immer schwerer wird, mich auf mein Kerngeschäft als Unternehmer zu konzentrieren. Ohne das jetzt genauer ausschmücken zu wollen. Außerdem habe ich mir vorgenommen, noch einige ehrenamtliche Aufgaben im sozialen Bereich zu übernehmen. Zum einen, um etwas zurückzugeben von dem, was ich in meinem Leben schon empfangen habe. Zum anderen aber auch, um weiter eine sinngebende Beschäftigung zu haben.
Ich will auch nicht verhehlen, dass ich mit einem Freund auch schon wieder ein neues Unternehmen gegründet habe. In einem anderen Bereich, im Bauwesen.

#04 Im Vorgespräch hat Herr Schäfer davon berichtet, dass Sie ein „verdecktes Mandat“ erteilt haben. Der Begriff war für mich neu.
Ich wollte nicht, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hautnah mitbekommen, das ich verkaufe. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass es meine feste Absicht ist, das zu tun. Aber das haben wahrscheinlich die wenigsten geglaubt. Wahrscheinlich auch aufgrund meiner Sozialisation – mein Vater hat gearbeitet, bis er fast 80 Jahre alt war.

Ich wollte aber keine Unruhe ins Unternehmen bringen, und somit wusste nur meine Frau, dass ich aktiv werde, um mein Ziel umzusetzen. Die Banken habe ich zwar einbezogen, aber um Diskretion gebeten. Wir haben dann die Plattform NextChange genutzt, wo man sein Unternehmen unter Chiffre vorstellen kann.  Auch in der Welt hatte ich mal eine Anzeige platziert, aber da kamen dann vornehmlich Makler auf mich zu.

Ein Betreuer einer unserer Hauptbanken kam dann mit einem Berater auf mich zu. Der hatte sich für verschiedene Banken auf das Thema Unternehmensnachfolge spezialisiert. Dieser Mensch hat dann den ersten Kontakt zu Herrn Schäfer vermittelt.   

#05 Herr Schäfer, wie lief es bei Ihnen ab?
Ich bin über einen Freund an diesen von Herrn Terodde genannten Spezialisten gekommen.Das war Herr von Brockhausen von der Corporate Finance Mittelstandsberatung aus Düsseldorf. Ich suchte ein Unternehmen in einer Größenordnung, das größer sein sollte als ein kleiner Handwerksbetrieb, aber auch nicht die Dimension eines Unternehmens mit mehr als 200 Beschäftigten haben durfte. Also grade so groß, dass auch ein Privatmann das Engagement stemmen kann. 

#06 Herr Schäfer, ich hatte ja auch Herrn Terodde nach seinem Motiv des Ausstiegs befragt. Sie sind ein klein bisschen älter. Was war Ihr Motiv zu kaufen? Die Frage, die aufkommen könnte, wäre: Warum tut der sich das in dem Alter noch an?
(Gelächter) Erst einmal, weil es Spaß macht. Ich habe immer gerne mit Menschen gearbeitet und ich habe nicht vor, dieses aufzugeben, nur weil ich irgendwann 65 bin. Da war mir der President einer US-Tochtergesellschaft meines letzten Unternehmens Mike Philipps immer ein gutes Beispiel. Der hat gesagt:

Für mich ist also die Altersgrenze nicht die Frage. Mir ist wichtig, dass ich Freude an der Arbeit habe. Ich wollte als selbstständiger Unternehmer Entscheidungsfreiheiten genießen, die ich so vorher nicht hatte. Ich wollte Prozesse schneller gestalten und optimieren können, als das in der Industrie möglich ist. Und es hat sich in meinem ersten halben Jahr in diesem Unternehmen Geukes auch schon gezeigt, dass das geht.   

Wenn wir uns hier einig sind – damit meine ich die Mitarbeiter, mit denen ich mich berate, und mich selbst – dann entscheiden wir. Und das nicht morgen, sondern heute. Das ist die Geschwindigkeit, die Freude macht.

Ich denke auch langfristig. Unsere vier Kinder sind allesamt potenzielle Nachfolger. Ich denke nicht daran, dieses Unternehmen nur fünf oder zehn Jahre zu führen und dann wieder zu verschwinden. Ich denke, dass das Unternehmen Geukes langfristig in unserer Familie bleibt – wie auch immer wir das zukünftig gestalten.

#07 Warum ist die Firma Geukes für sie so sexy gewesen, Herr Schäfer?
Als ich auf die Suche gegangen bin wusste ich, dass es in Deutschland sehr viele Unternehmen gibt, die sich nach einer Altersnachfolge umsehen. Ich hatte mir als Bedingung auferlegt, dass ich ein Unternehmen finde, welches in der Nähe zu dem Wohnort meiner Familie liegt. Damit hatte ich mir einen Radius gesteckt, in dem auch die Firma Geukes lag. 

Dieses Unternehmen hat mich dann durch zwei Dinge überzeugt: Erstens, das Konzept. Wir verstehen uns als Lohndienstleister, als spezialisierter Betrieb, der hochqualifizierte Mitarbeiter hat, die in der Lage sind, neue Aufträge schnell aus den Zeichnungen zu erfassen und an ihren Maschinen umzusetzen. Wir sind keine Serien-Fertiger, die dem Konkurrenzdruck z.B. aus Osteuropa ausgesetzt sind. Da können wir nicht konkurrieren, Aber in unserem Kleinmengen-Bereich, in den Kleinst-Serien bis runter zum Einzelstück sind wir extrem gut aufgestellt. Da zählt der persönliche Kontakt, die Erfahrung und das schnelle Umsetzen. Das dieses Konzept für die Kunden sehr interessant ist spiegelte sich auch in den Zahlen des Unternehmens wieder. Das war natürlich auch wichtig und durchaus sexy.

Meine zweite Überlegung war, ein Unternehmen, welches sich über viele Jahre hinweg fachlich spezialisiert hat, im Industriestandard zu verfeinern, zu veredeln. Damit meine ich Management-Methoden wie kontinuierliche Verbesserungsprozesse,  Mitarbeiterführung, etc. Das wird in der Industrie viel intensiver betrieben als in einem Handwerksbetrieb. Davon können wir uns aber etwas abgucken.

Jetzt will ich nicht sagen, dass man mit Industrieorganisation ein kleines Handwerksunternehmen auf einmal produktiver macht. Im Gegenteil, man kann das natürlich auch kaputt-organisieren. Was aber geht und was wir fortan tun ist, das Beste aus beiden Welten zusammenzuführen.

Ich bin durch das Unternehmen Geukes gegangen und habe mit den Mitarbeitern hier gesprochen. Bei meinem ersten Besuch noch in einer Rolle als „möglicher Kunde“. Was ich da wahrgenommen habe war ebenfalls sexy: Wir haben, hier Menschen, die sind offen, die sind neugierig, die sind aber auch bodenständig. Das ist eine ganz tolle Mischung. Es könnte sein, dass sich hier Rheinländer und Westfalen in idealer Weise mischen. Vom Fachlichen her habe ich gespürt, dass die Mitarbeiter hier wie Künstler zu betrachten sind, die ihre Instrumente beherrschen.  

#08 Sie haben hier also tatsächlich verdeckt ermittelt?
(Ganz breites Schmunzeln im Meetingraum.) Ja, eigentlich kann man das so sagen. Wir haben hier zwei Rundgänge inszeniert, als Kunde, wie schon gesagt. Und auch dieses Vorgehen hat mich für das Unternehmen und für Herrn Terodde eingenommen. Bei ihm gab es nicht das Denken, ich schleuse hier mal zehn Interessenten durch und wer das Meiste bietet, dem verkaufe ich meinen Betrieb. Herr Terodde hatte eine Vorstellung davon, wie jemand gestrickt sein soll, dem er sein Unternehmen und seine Mitarbeiter anvertraut. Und er hatte auch klare Vorstellungen von den Konditionen. Dann hat er sich für seine Suche die notwendige Zeit eingeräumt, nicht den Erstbesten nehmen zu müssen. 

Wichtig war ihm, nicht die Mannschaft kirre zu machen, denn in deren Leistung steckt ja der eigentliche Unternehmenswert. Wenn die Menschen von der Fahne gehen, weil sie nervös werden, dann schmälert es den Wert des Unternehmens, der sich nun mal nicht nur aus den Bilanzen rauslesen lässt. Von daher war meine Undercover-Rolle für mich okay.

#09 Herr Terodde, sprechen wir über die Macht des ersten Augenblicks. Jetzt taucht hier ein Herr Schäfer auf. Das Mandat zum Matchen hatten sie ja erteilt. Was waren ihre ersten Eindrücke?
Das erste, was ich nach dem Erstkontakt mit Herrn Schäfer zu meiner Frau gesagt habe war: „Das gibt nichts.“ (Gelächter) Ich hatte ja vor vier Jahren angefangen, mich umzuhören, Seminare zu besuchen. Ich habe mit sehr vielen potenziellen Interessenten gesprochen. Mit dem Aussichtsreichsten habe ich fast ein Jahr verhandelt. Ich habe alle Zahlen der letzten fünf Jahre offen gelegt. Wir saßen dann schon mit Rechtsanwälten und Steuerberatern am Tisch und waren uns einig. Und dann kamen doch wieder bislang unausgesprochene Forderungen, nach Sicherheits-Szenarien, drei Monate zur Probe und Ähnliches – für mich vollkommen weltfremde Geschichten. Dann gab es hier Menschen, denen das Unternehmen zu groß war oder die den Eindruck vermittelten, hier nur den Nektar zu saugen, um es dann zu zerschlagen. 

#10 Wie ging es dann weiter?
Letztendlich blieben Ende 2018 nur zwei wirklich ernstzunehmende Kandidaten über. Wobei ich mir das bei Herrn Schäfer immer noch nicht vorstellen konnte. Er hatte schon mal ein paar Stufen höher gesessen, um das mal plastisch zu umschreiben. Um dann in dem Alter noch meinen Betrieb zu übernehmen, das erschien mir trotz der Prämisse, für seine Kinder etwas vorzubereiten, eher unverständlich. Meine Skepsis schwand aber in den folgenden Meetings. Es gab dann noch ein Ansinnen seitens des Rechtsanwalts von Herrn Schäfer, dass nur noch wir exklusiv verhandeln. Das wollte ich nicht. Das war für Herrn Schäfer dann auch okay und er hat dann auch durch die Geschwindigkeit überzeugt, mit der er die Dinge vorangetrieben und umgesetzt hat. Es gab ganz schnell Vorverträge, die wir gemeinsam durchgearbeitet haben. Wir waren uns relativ schnell über die Eckpunkte einig, das war im November letzten Jahres. Mir war wichtig, dies nun endlich auch meiner Mannschaft zu erklären und zwar bis Ende des Jahres 2018. Der Hintergrund war, dass wir uns zu diesem Zeitpunkt immer bezüglich unserer Urlaubsplanung abgestimmt haben. Da wollte ich nicht stottern, sondern Klartext reden können. 

Ich habe dann am Freitag vor Weihnachten meine beiden Meister mit ihren Frauen zum Essen eingeladen und denen die Entscheidung mitgeteilt. Das war nicht einfach, da sind auch ein paar Tränchen geflossen. Mit dem einen haben ich 23 Jahre und mit dem anderen über 15 Jahre zusammengearbeitet. Ich war im Grunde genommen zwar der Chef hier, aber ich war „der Thomas“ und wir waren gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein gutes Team. 

Herr Schäfer ist dann am Dienstag danach ins Unternehmen gekommen und hat sich vorgestellt. Seine Ansage an die Mitarbeiter war, alles zunächst weiterlaufen zu lassen, wie gewohnt. Und seit dem 01.02.2019 ist Herr Schäfer der neue Inhaber der Firma Geukes. 

#11 Herr Schäfer, Ihre Sicht?
Also, das war schon ein ganz großer Vertrauensvorschuss von Herrn Terodde. Weil die Verträge, trotz aller Eile unserseits, erst Anfang 2019 unterzeichnet werden konnten. Bis dato war eben nicht mehr als eine mündliche Vereinbarung möglich. Ich glaube, dass der Punkt Vertrauen auch der große Schlüssel in diesem Übernahmeprozess war. Wir haben beide bei dem jeweils anderen festgestellt: Der meint es ehrlich.  

#12 Okay, jetzt sind die Mitarbeiter informiert. Wie ging es dann weiter, Herr Schäfer?
Wir haben dann gemeinsam die größten Kunden besucht, um diese auf Stand zu bringen. Das waren für mich schöne Erfahrungen. Alle haben ausnahmslos erklärt, dass sie auch weiterhin mit der Firma Geukes zusammenarbeiten werden. Es hat mir ein sehr positives Gefühl gegeben, weil es am Anfang unserer Gespräche für mich schon ein Thema war, ob die Firma Geukes ohne Herrn Terodde überhaupt funktionieren würde. Mir war klar, dass Herr Terodde eine Schlüsselfunktion bei den Kunden innehatte. Aber bei den Besuchen wurde deutlich, dass die Kunden auch sehr großes Vertrauen in die fachlichen Kompetenzen der Meister und Mitarbeiter hier im Unternehmen haben. 

Diese Besuche haben den ersten Monat geprägt. Dann folgten drei Monate, in denen Herr Terodde mich fünf Tage die Woche voll umfänglich begleitet hat. In dieser Zeit war es so, dass Herr Terodde an seinem bekannten Schreibtisch saß, und ich saß hier am „Katzentisch.“
(Gemeint ist ein sehr schöner Meetingtisch im Atrium das Geschäftsführerbüros, auf dem am Ende eine Rechnereinheit aufgebaut ist). 

Das war mein ausdrücklicher Wunsch. Nach diesen drei Monaten haben wir dann die Tische gewechselt und Herr Terodde war dann nur noch zwei Tage in der Woche hier. Das war auch wichtig für die Belegschaft: Zu sehen, dass Herr Terodde nicht rausgedrängt wurde, sondern dass hier ein Übergang geschaffen wurde, der von beiden Seiten harmonisch gewollt war. Ich konnte mich dann schon um die ersten Workshops mit den Mitarbeitern kümmern. 

#13 Herr Terodde, der erste Tag am „Katzentisch“, wie ging es Ihnen dabei?
Gut, wobei … das war der 02.05. und meine Frau hatte vorher Geburtstag, ich hatte noch ein wenig Kopfschmerzen. Können wir das Schneiden? (Gelächter)

Schneiden ist für Feiglinge.

Ja, ich rede manchmal einfach so frisch von der Leber, wie man so sagt. Zurück zum Thema. Das war für mich überhaupt kein Problem. Unser Übergabekontrakt ging eigentlich nur bis zum 30.04.2019. Herr Schäfer hat mich dann gebeten, noch etwas Zeit anzuhängen. Wir hatten beide festgestellt, dass noch nicht alles besprochen ist. Ende August ist dann wirklich Schluss.

#14 Gab es in dem gesamten Prozess, der nunmehr vom ersten Kennenlernen an fast ein Jahr dauert, Situationen, die richtig komisch waren, Befindlichkeiten, Herr Terodde?
Wir haben in dem ganzen Jahr bis jetzt noch kein Streitgespräch gehabt, was mich wirklich freut. Es gab Situationen mit unterschiedlichen Sichtweisen. Aber ich bin 23 Jahre in diesem Unternehmen und habe sicherlich auch eine bestimmte, teilweise einengende Brille auf. Und dann kann eine andere Herangehensweise sehr hilfreich sein. Das konnte ich bei den von Herrn Schäfer angesprochenen Workshops beobachten, wo sich die Mitarbeiter begeistert eingebracht haben. Die einzige Befindlichkeit, die ich habe ist, dass wir uns immer noch Siezen, aber ich habe mich daran gewöhnt. (Gelächter) 

Sie sind damit nicht alleine, Herr Terodde. Das ist auch das erste Interview bislang in Siez-Form. Normalerweise ist die erste Frage im Interview immer, wie gehen wir verantwortlich mit unserer Zeit um. Und dann folgt die Frage: Ist das Arbeits-Du für die nächsten 90 Minuten okay? Bei Ihnen, Herr Schäfer, war mir klar, dass ich die zweite Frage nicht stelle. Ich hatte in unserem Erstgespräch ein Gespür dafür bekommen, dass Sie da einen Standpunkt vertreten, der Respekt verdient. (Lautes Schmunzeln)

#14 Gab es bei Ihnen, Herr Schäfer, ein Momentum, in dem sie sich die Frage gestellt haben: Tue ich das Richtige?
Nein. Es gab sicherlich Dinge, die ich nicht auf Anhieb verstanden oder durchblickt habe. Aber es ist dann meine Art, zu beobachten und zu fragen. So war es zu Anfang, als Herr Terodde mir nur ein einziges Mal den tatsächlichen Einblick in das Unternehmen Geukes gewähren wollte. In der geschilderten Form, dem Rundgang als vermeintlicher Kunde. 

Da hätten die Gespräche scheitern können. Das wäre sogar normal gewesen. Wer kauft schon ein Unternehmen, wo ihm nur begrenzte Einblicke gewährt werden? Da will doch einer was verheimlichen?! Ich habe aber das Motiv von Herrn Terodde verstanden, der einfach keine Unruhe in der Belegschaft wollte. Und diese Haltung hat er klar vermittelt. Dann habe ich auch nicht stur darauf bestanden. Wir haben nach anderen Wegen gesucht, wie ich mehr Sicherheit für meine Entscheidung bekomme und Antworten auf meine Fragen. Wir haben unsere Rundgänge dann am Wochenende gemacht.  

#16 Wenn Sie jetzt beide in die Berater-Funktion gehen, für Menschen in einer ähnlichen Situation. Was sind die Erfolgsfaktoren für einen Unternehmensnachfolge-Prozess? Und was sind Dinge, die man anders machen sollte, Herr Schäfer?
Wenn man als Käufer das Ziel hat, das Unternehmen zu übernehmen, dann sollte man sich genau überlegen, wie man an die entscheidungsrelevanten Informationen kommt. Ich halte es für nicht klug, den Verkäufer ständig mit eigenen, teilweise kleinlichen Informationsbedürfnissen zu überfordern, zu nerven. Ich muss mich auf mein Gegenüber einlassen und ihn in seiner Situation verstehen. Wenn es mir nur darum geht, mich durchzusetzen, wird das keine gute Geschichte. Ich will nicht Recht behalten, sondern mein Ziel erreichen.

In unserem konkreten Fall z.B. war der Verkaufspreis von Anfang an klar. Ich kannte die Vorstellungen von Herrn Terodde. Und dabei sind wir auch geblieben. Ich hätte da möglicherweise noch etwas nachverhandeln können. Aber das hätte unser Verhältnis belastet und mein Ziel gefährdet. Der Preis von Herrn Terodde war realistisch und angemessen. Und von daher wäre es nicht anständig gewesen, daran zu makeln. 

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist es, seitens des Verkäufers tatsächlich loszulassen. Da kann ich Herrn Terodde nur den größten Respekt zollen. Er hat mir das Ruder überlassen und hat unterstützend mit Rat und Tat im Hintergrund gestanden. 

#17 Herr Terodde, aus Ihrer Sicht, was können andere aus Ihrem Prozess lernen?
Als potenzieller Verkäufer lernt man schon verschiedene Käufertypen kennen. Da empfehle ich die Ruhe, abzuwarten, bis man tatsächlich jemanden gefunden hat, der auch an den Menschen interessiert ist, die in diesem Unternehmen arbeiten. 

#18 Wen braucht man, um einen solchen Prozess harmonisch rund zu machen, Herr Schäfer?
Es ist hilfreich, wenn man sich mit Personen austauscht, die sich darauf spezialisiert haben, potenzielle Verkäufer mit potenziellen Interessenten zu matchen. Natürlich braucht man Banken, die einen vertrauensvoll auf diesem Weg begleiten. Und was sehr wichtig ist, man sollte erfahrene Rechtsanwälte einschalten, die das
Unternehmensnachfolge-Geschäft beherrschen, und zwar jede Seite für sich. Ich konnte auf Fachanwälte zurückgreifen, mit denen ich schon in meiner SURTECO-Zeit einige Unternehmen gekauft hatte. Deshalb waren wir so schnell. 

#19 Herr Schäfer, ich greife mal Ihre Formulierung, Ihren Anspruch auf, das Beste aus beiden Welten zu verbinden. Was haben Sie konkret vor?
GEUKES ist ein Unternehmen mit fachlich extrem gut ausgebildeten Mitarbeitern. Das vertiefen wir und bauen es aus. Es geht um die Organisation am eigenen Arbeitsplatz, um Verschlankung von Prozessen, um die Art der Zusammenarbeit. Wir helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sich darin weiter zu entwickeln. Sie kennen vielleicht den Begriff Kaizen. Eine japanische Lebens- und Arbeitsphilosophie, in deren Zentrum das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung steht. Das Prinzip hat mich seit meiner Zeit bei Bilstein immer beschäftigt. Mir geht es darum, eine Kultur zu schaffen, die uns als Unternehmen Geukes einzigartig macht. 

Und dann möchte ich mich mit dem Thema Additive Fertigung befassen – besser bekannt als 3D-Druck. Die Motivation hierzu kommt auch aus der Belegschaft selbst. Heute schon kann man Metalle dreidimensional drucken. Das wird für Kleinst-Serien in Zukunft durchaus interessant sein. Darin liegt sehr viel Potenzial für die Zukunft und ich sehe hier eine sinnvolle Ergänzung zu unseren herkömmlichen, spanenden Verfahren. Damit werden wir uns intensiv beschäftigen.  

#20 Damit haben sie mir in unserem ersten Treffen „Licht ans Fahrrad gemacht“, wie man in Bocholt so sagt. Ich habe verstanden, dass in Zukunft auch aufbauend gearbeitet wird und nicht nur wegnehmend, also spannend.
„Licht ans Fahrrad gemacht“, sagt man das so? Dann habe ich schon einen zweiten lokalen Begriff gehört, neben „Wir haben die Piepen verschossen.“ (Gelächter) Also, die Damen bei uns im Büro bemühen sich, mich nach und nach in die Tiefen der Bocholter Sprache einzuweihen. 

#21 Herr Schäfer, ich hatte mir während unseres ersten Treffens den Begriff „Orchester“ notiert. Das war mein Resümee aus Ihrem Wording, aus Ihren Erzählungen. Kann es sein, dass Ihr Musikstudium immer mal wieder durchschlägt? Sie sehen manche Dinge wirklich orchestermäßig, oder?
Ja, in der Tat. Mein Führungsideal ist das der Kammermusik. Wenn ich Vorlesungen oder auch Vorträge zum Thema Führung gehalten habe, habe ich immer zwei Bilder von unterschiedlichen Dirigenten genutzt. Der eine, der haarklein managed und alles genauestens vorgibt und kontrolliert. Und der andere, der ein Gefühl in den Menschen erzeugt, das diese dann selbst in Musik umsetzen, der seinen Musikern Freiheiten lässt. Die Steigerung davon ist, ganz ohne Dirigenten zu arbeiten, wie in einem Kammermusik-Ensemble. Dann sieht man, dass mal der eine und mal der andere die Führung übernehmen muss, weil es tatsächlich aus der Musik heraus so sein muss. Das ist keine Anarchie sondern hohe Kunst.  

 #22 Gibt es das tatsächlich?
Ja, natürlich. Nehmen sie ein Streichquartett. Das besteht aus zwei Geigen, Bratsche und Cello. Dem steht niemand vor und dirigiert. Wenn die zusammen spielen, müssen sie sehr flexibel sein und aufeinander reagieren. 

#23 Also wie eine Jazz-Combo, aber in einem andere Genre?
Ja, aber mit notierten Noten. Es gibt aber auch das Stegreif-Orchester, ein Ensemble aus Berlin. Das sind klassisch ausgebildete Leute, die alle einen starken Hang zur Improvisation haben. Mit ihren Programmen sind sie Deutschlandweit unterwegs, zum Beispiel mit „#freebrahms“, also „befreie Brahms“, auf der Basis von Brahms Symphonie Nr. 3. Bei den Konzerten geht es darum, sich anschauen, zuzuhören, zu reagieren, stets wach zu sein. Das ist auch hier im Unternehmen wichtig. Wenn ich nicht auf die Mitarbeiter höre, wenn ich glaube, alles zu wissen, dann geht das hier den Bach runter.   

#24 Aufgrund unserer Gespräche glaube ich, dass die Firma Geukes kein Stegreif-Orchester ist. Da gibt es schon einen starken Dirigenten, oder? Wenn ich googeln würde, nach welchem Dirigenten würde ich suchen, der Ihnen gefällt?
Nach Claudio Abbado, dem früheren Chef-Dirigenten der Berliner Philharmoniker. Abbado war jemand, der dem Orchester ständig gesagt hat: „Hört aufeinander!“ Es gibt Dirigenten, die sind echte Machtmenschen, die stehen da vorne und lassen nichts anderes gelten. Und es gibt Dirigenten, die können die Menschen in einem Orchester echt motivieren. Beide Wege führen immer wieder zu Höchstleistungen. Es ist unglaublich, dass auch Angst zu Höchstleistungen führt. Aber dauerhaft macht man damit ein Ensemble kaputt.

#25 Herr Terodde, schlagen wir den Bogen zum Thema Fußball. Gibt es einen Trainertypen, den Sie aufgrund seines Führungsstils mögen, der muss nicht zwingend von Bayern München sein?
Ja, Jupp Heynckes. Der war kein Schleifer, der hat auf eine sehr menschliche Art seine Spieler behandelt. Weil er auch das Bemühen hatte, sie zu verstehen.

#26 Herr Schäfer, wer ist Ihr Kunde, wer sollte mit Ihnen in Kontakt treten?
Maschinenhersteller, die keine Standardware liefern oder benötigen, aber dies in einer verlässlichen Qualität. 

Ergänzung Thomas Terodde: Man kann sagen, dass es in dem von Ihnen skizzierten Revier des PLATZHIRSCH einige Betriebe gibt, die so arbeiten wie wir. Was uns auszeichnet ist: Wir haben über Jahre eine extrem hohe Verlässlichkeit in Punkto Qualität bei unseren Kunden erzeugt. Mir ist des Öfteren von Kunden gespiegelt worden, dass unsere gelieferten Produktionsteile nicht mehr nachgemessen, sondern direkt eingebaut werden. Mehr Qualitätsvertrauen geht nicht in unserer Branche.

Meine persönliche Bilanz

aus diesem tiefgründighumorvollem Gespräch: 

Hier haben sich zwei Menschen gefunden, die sich im normalen Leben wahrscheinlich nie begegnet wären. Weil die Charaktere inklusive ihrer Laufwege gegensätzlicher kaum sein könnten. Was sie aber verbindet, ist die einheitliche DNA für Metall und Menschen, sowie das gewachsene Vertrauen zueinander. Eine beeindruckende Geschichte, der wir den Raum im PLATZHIRSCH eingeräumt haben, den sie verdient hat. 

Was mir zusätzlich imponiert hat ist, dass wir Herrn Schäfer bei der Verabschiedung eine unglaubliche Story entlocken konnten, die er aus eigenen Stücken gar nicht angeführt hat.

Eine beeindruckende Bescheidenheit, wie ich finde. Wenn ihr (wir sind ja jetzt wieder unter uns, sprich: ohne Siezen unterwegs) neugierig darauf seid, googelt bitte „The Management Symphony“ und schaut euch folgendes Video an. (rb)
www.youtube.com/watch?v=R_hen_mvOHU

GEUKES GmbH
Vennweg 10, 46395 Bocholt
Fon: +49 (0)2871 24850
www.geukes-maschinenbau.de